Zersplittert: Dystopie-Trilogie Band 2 (German Edition)
weiß nicht, dass ich Ben längst gefunden habe.
In der Zwischenzeit muss Nico glauben, ich wäre auf seiner Seite. Coulson muss das ebenfalls denken. Keiner darf herausfinden, was ich für den jeweils anderen tue.
Als würden zwei Hochgeschwindigkeitszüge aufeinander losrasen und das Unglück immer näher rücken.
Spät in der Nacht summt das Kom. Mit einem Schlag bin ich wach und suche im Dunkeln nach dem Knopf.
»Ja?«, flüstere ich.
»Kannst du reden?«
»Nur leise.«
»Morgen findet der Anschlag auf die RLS statt. Unter einer Bedingung kannst du mit.«
»Und die wäre?«
»Du musst genau das tun, was Katran verlangt. Versprichst du mir das, Rain?«
Das wird Katran gefallen. Doch mir bleibt nichts anderes übrig. Ich gebe Nico mein Wort und lausche seinen Anweisungen.
Soeben hat der erste Zug den Bahnhof verlassen.
Holly lehnt ihr Fahrrad gegen einen Baum und läuft auf den Eingang zu.
»Das ist keine gute Idee«, raune ich Katran ins Ohr. Er knurrt nur. Doch es steht ihm ins Gesicht geschrieben, dass ihm der Plan ebenso wenig gefällt. Er ist allein auf Nicos Mist gewachsen, und als Katran uns vorhin alles erläuterte, war ganz offensichtlich, wie sehr es ihn wurmte, dass Nico sich in seine Gruppe einmischte. Genauso wenig begeistert war er von meiner Anwesenheit.
Wie von einem Gebäude, in dem schreckliche Dinge vor sich gehen, nicht anders zu erwarten, liegt das Haus der Lorder abgeschieden da. Nachbarn gibt es keine, dennoch verfügt es über eine gute Verkehrsanbindung, bis zur Hauptstraße sind es nur ein paar Meilen. Vor dem Haus steht ein schwarzer Van. Die Überwachung hat ergeben, dass sich der Montag für einen Angriff am besten eignet. An anderen Tagen gibt es mehr »Lieferungen« – Slater, die liquidiert werden sollen.
Bevor Holly die Tür erreicht, tritt auch schon ein Wachmann der Lorder hinaus.
»Hi«, sagt sie und lächelt ein wenig übertrieben. So glücklich sieht man in der Regel nicht aus, wenn man auf einen Lorder trifft.
»Was hast du hier zu suchen?«
»Sorry, ich habe mich verirrt. Könnten Sie mir vielleicht sagen, wie ich zum Bauernmarkt komme?«
Dämliche Ausrede. Da gehört schon eine ordentliche Portion Dummheit dazu, um sämtliche »Betreten-Verboten-Hinweise« zu ignorieren und in diesen Feldweg abzubiegen, statt den Schildern zum Markt zu folgen.
Ungerührt macht er einen Schritt auf sie zu, sagt aber nichts. Mit einem Auge behält er sie im Blick, mit dem anderen sucht er den Wald ab. Unwillkürlich ducke ich mich tiefer ins Unterholz, obwohl uns hier im Schutz der Bäume keiner sehen kann. Der Lorder greift nach dem Komlink an seinem Gürtel.
Mit einem überraschenden Drehkick tritt Holly ihm die Hand weg. Ich bin schon auf dem Sprung, um ihr zu helfen, da packt mich Katran am Handgelenk. »Warte, bis sich die anderen zeigen«, zischt er.
Vorn am Haus sind überall Überwachungskameras installiert. Inzwischen wissen die drinnen bereits, dass ihr Wachmann mit einem schmächtigen Mädchen ringt. Schnell hat er Holly außer Gefecht gesetzt, einen Arm fest um ihren Hals geschlungen.
Die Tür geht auf. Ein weiterer Lorder kommt nach draußen.
»Lass hören.«
»Erst hat sie behauptet, sie hätte sich verfahren, dann tritt sie nach mir.«
»Gefällt mir nicht. Check mal das Gelände.«
»Ich habe keine Hand frei.«
Der Lorder zuckt die Achseln. »Dann mach sie frei.«
Mit einer Hand greift der Wachmann Hollys Kinn, mit der anderen ihre Schulter. Nein! Wieder will ich aufspringen, doch Katran hält mich eisern fest.
Ein gewaltsamer Ruck.
Als der Wachmann sie loslässt, sinkt Holly zu Boden.
Ein Zucken geht durch ihren Körper, dann regt sie sich nicht mehr, Genickbruch. Aus Entsetzen wird blinde Wut. Ich will auf Katran losgehen, doch sein Gesicht ist von tiefem Schmerz erfüllt. Als er meinen Blick bemerkt, versteinert sich seine Miene.
Nun spricht der andere Lorder in sein Komlink. Ob er Verstärkung anfordert? Zwei Lorder treten aus dem Haus. Einer begibt sich in Richtung Tori, die ihn schon mit ihren Messern erwartet, der andere nähert sich uns.
Katran lässt mich los, bedeutet mir aber, mich herauszuhalten. Ihm ist anzusehen, dass er auf Rache sinnt.
Plötzlich bleiben die Lorder stehen. Das Geräusch eines sich nähernden Fahrzeugs ist zu vernehmen. Bloß nicht. Ein Transport vielleicht?
Ein Van fährt vor.
Katran schüttelt den Kopf. »Zu viele Ziele.«
Ungläubig sehe ich ihn an. Rückzug? Jetzt? Nachdem die Holly auf dem Gewissen
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