Zersplittert: Dystopie-Trilogie Band 2 (German Edition)
Wanzen versteckt sein.
»Was hast du denn?«
»Hier kann ich nicht darüber reden. Ich fühle mich nicht sicher.«
»Der Raum wird nicht überwacht, das verspreche ich dir. Das wäre ein grober Verstoß gegen das Patientengeheimnis.«
»Und wäre das schlimmer, als eine Akte zu löschen?«
Sie öffnet schon den Mund, um etwas zu sagen, überlegt es sich dann aber anders. Denkt nach.
Dr. Lysander kritzelt etwas auf einen Zettel und reicht ihn mir dann: Dienstag, neun Uhr. Auf einer groben Skizze darunter ist ein Reitweg in der Nähe meiner Schule markiert.
Auch wenn vieles dagegen spricht, lasse ich die Nachricht in meiner Hand verschwinden und nicke.
»Kannst du reiten?«, fragt sie.
»Ja«, die Antwort ist heraus, bevor ich nachdenken kann. Aber es stimmt. Erinnerungsfetzen tauchen vor meinem inneren Auge auf: Galoppierende Pferde auf einer Weide setzen zum Sprung über ein niedriges Gatter an und fliegen darüber hinweg.
»Was ist denn, Kyla?«
»Ich erinnere mich«, flüstere ich. »Ein Pferd. Schwarz und weiß. Gemeinsam konnten wir fliegen!«
Erwartungsvoll sieht sie mich an, sie will alles wissen. Um endlich herauszufinden, was bei der Operation schiefgegangen ist.
Und wenn ihre Neugierde gestillt ist, was dann?
Zurück vom Krankenhaus sitze ich in meinem Zimmer, starre auf Nicos Brief und hoffe, dass er mir sein Geheimnis offenbart.
Natürlich könnte ich ihn einfach aufmachen. Ich stecke den Umschlag ein und trabe nach unten.
»Ich gehe rüber zu Cam«, verkünde ich, ziehe mir die Schuhe an und öffne die Tür.
Auf der Schwelle mache ich kehrt und gehe wieder hinein. »Mum?«
»Was denn?« Sie kommt mir im Flur entgegen.
»Das hat in der Tür geklemmt. Da steht dein Name drauf.« Ich halte ihr Nicos Brief hin. Eigentlich sollte ich ihn ja verstecken, damit sie ihn findet, wenn sie allein ist. Aber ich muss unbedingt wissen, was drinsteht und wie sie reagiert.
Stirnrunzelnd nimmt sie mir den Umschlag ab. Sie reißt ihn auf und zieht einen Brief heraus. Beim Überfliegen werden ihre Augen immer größer. Sie schnappt nach Luft.
»Was steht drin?«
»Ist nicht wichtig«, lügt sie und stopft ihn in die Hosentasche.
Ungläubig sehe ich sie an und einen Moment lang spiegelt sich die Unentschlossenheit in ihrem Blick. Sie ist im Begriff, mir etwas zu erzählen, vielleicht sind es nur Ausflüchte, vielleicht auch die Wahrheit. Zwischen mir und Mum gibt es so viele Geheimnisse. Wird sie sich mir öffnen? Und werde ich mich dann auch öffnen?
Tock, tock, tock.
Wir fahren zusammen.
Mum macht die Tür auf. »Hallo, Cam. Komm rein.«
Cam blickt zwischen uns hin und her, als spürte er, dass irgendwas nicht stimmt.
»Zwei Köpfe, ein Gedanke«, sage ich. »Ich wollte gerade zu dir rüberlaufen und fragen, ob du Lust hast, spazieren zu gehen.«
»Gerne«, sagt Cam. »Aber vorher habe ich noch eine Frage. Was soll ich zu diesem AMD-Ding anziehen?« Mum und ich sehen ihn überrascht an. »Oh, hat er nichts davon gesagt?«
»Wer hat uns was nicht gesagt?«, frage ich.
»Na, dein Dad. Er hat mich eingeladen, euch zu dieser Veranstaltung zu begleiten, damit ich dich vor dem Essen nach Hause fahren kann.«
Ganz gelingt es mir nicht, mein Entsetzen zu verbergen. Nein! Cam darf auf keinen Fall mitkommen. Wer weiß, was dort geschieht!
»Aber wenn ich lieber nicht mitkommen …«
Mum mischt sich ein. »Natürlich wollen wir, dass du mitkommst. Das ist eine super Idee! Wir haben es einfach nur nicht gewusst. Um Anzug und Krawatte wirst du aber nicht rumkommen.«
Ich gebe mir die größte Mühe, zustimmend zu murmeln. Währenddessen zerbreche ich mir den Kopf, wie ich Cam davon abbringen kann.
»Lass uns los, bevor es dunkel wird«, sage ich.
»Ach, eine Sache noch, Cam«, sagt Mum. »Hast du zufällig heute jemanden vor unserem Haus gesehen?«
Fragend blickt er mich an. »Nur Kyla eben. Warum?«
»Einfach so. Dann mal los mit euch beiden.«
Wir nehmen den Fußweg, der zum Aussichtspunkt führt. Ich werfe Cam einen kurzen Seitenblick zu. »Du willst doch nicht wirklich mit auf diese bescheuerte Veranstaltung?«
»Aber logo! Endlich kann ich mich mal so richtig in Schale werfen und mich unter die Großen und Glorreichen mischen. Das lass ich mir doch nicht entgehen!«
»Das wird total öde.«
»Wahrscheinlich!« Er zwinkert mir zu. »Aber du bist da.«
»Hör auf mit dem Stuss. Nichts als politisches Geschwafel. Überall Lorder. Ich würde mich am liebsten davor drücken.«
»Deshalb komme
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