Zersplittert: Dystopie-Trilogie Band 2 (German Edition)
besuchen. Er wird mich auch dann nicht erkennen.
»Okay«, antworte ich. »Versprochen.«
Auch wenn mir mein Verstand sagt, dass Ben zumindest im Moment in Sicherheit ist, habe ich dennoch Angst um ihn. Wer weiß, was die Lorder gerade mit ihm anstellen oder noch anstellen werden?
Dr. Lysander könnte darüber Bescheid wissen oder es zumindest in Erfahrung bringen. Morgen sehe ich sie wieder. Aber wird sie es mir verraten?
Als ich vor Dr. Lysanders Büro warte, steht wieder derselbe Wachmann vor der Tür. Mit ausdruckslosem Gesicht hat er den Blick starr geradeaus gerichtet. Ich weiß nicht, welcher Teufel ihn beim letzten Mal geritten hat, aber zuzwinkern wird er mir diesmal sicher nicht.
»Komm rein«, ruft Dr. Lysander. Ich flüchte nach drinnen und schließe die Tür hinter mir.
Dr. Lysander mustert mich eingehend. Mit gefalteten Händen sitzt sie vor dem zugeklappten Laptop. Irgendwas liegt in der Luft.
Ich schlucke schwer.
»Guten Morgen, Kyla«, sagt sie endlich. »Wie geht es dir heute?«
»Gut, und Ihnen?«
»Auch gut, danke. Aber nach unserem letzten Termin ist mir klar geworden, dass wir zwei Katz und Maus spielen.«
»Bin ich die Katze oder die Maus?«, rutscht es mir heraus.
»Eigentlich solltest du die Maus sein, aber manchmal bin ich mir da nicht so sicher. Ich möchte gerne Antworten von dir, Kyla.«
»Ich habe auch Fragen.«
Dr. Lysander ringt mit sich, doch schließlich gewinnt die Neugier die Oberhand. »Einverstanden«, sagt sie. »Du darfst mir eine Frage stellen, die ich auch beantworten werde. Danach bin ich dran. Einverstanden?«
»Einverstanden«, sage ich, obwohl es mir lieber wäre, sie würde anfangen. Ich suche nach den richtigen Worten.
»Und?«
»Erinnern Sie sich noch an Ben? Ben Nix, meinen Freund?«, frage ich und sie nickt. »Ich möchte gerne wissen, was mit ihm passiert ist. Wo ist er jetzt?«
»Das weiß ich nicht, das habe ich dir doch schon gesagt.«
»Sie wussten aber von seinem abgeschnittenen Levo, also müssen Sie doch irgendwelche Informationen haben.«
»Du hast ebenfalls davon gewusst und ich habe nie nachgehakt. Aber was aus ihm geworden ist, weiß ich nicht, damals habe ich im Computer nachgesehen, aber in unserem System sind keine Informationen über ihn.« Sie seufzt. »Ich beweise es dir.«
Dr. Lysander klappt den Computer auf. »Komm zu mir und schau selbst nach. Der Nachname ist Nix?«
Ich nicke. Sie gibt »Ben Nix« in die Suchmaschine ein.
Kein Treffer.
»Vielleicht hieß er auch Benjamin.« Doch wieder nichts.
»Das verstehe ich nicht.« Dann hellt sich ihre Miene auf. »Er wird in deinen Protokollen auftauchen. Ja. Ich habe ihn bei dir unter Freunde und Familie mit einem Querverweis versehen.« Sie ruft eine neue Seite auf. »Hier steht seine Nummer.« Dr. Lysander startet eine erneute Suche.
Kein Treffer.
Neben Ärger spiegelt sich noch ein weiterer Ausdruck auf ihrem Gesicht. Sie schließt den Laptop.
»Was ist denn?«, frage ich.
Dr. Lysander lehnt sich in ihrem Stuhl zurück, nimmt die Brille ab und reibt sich die Augen. Ohne das dicke schwarze Gestell sieht sie ganz anders aus. Die Brille vergrößert ihre Augen, so sehen sie müde und viel menschlicher aus. Sie setzt sie wieder auf.
»Ben muss gelöscht worden sein.«
»Was bedeutet das? Ist er …«
»Tot? Ich weiß es nicht. Aber nur weil man gestorben ist, wird man nicht automatisch gelöscht. Nicht einmal mir ist es erlaubt, eine Akte zu entfernen. Keiner im Krankenhaus darf das, nicht mal der Aufsichtsrat. Ich kann neue Akten für Patienten anlegen, sie auf den neuesten Stand bringen, bearbeiten, aber nicht löschen. Das widerspricht allen Regeln. Dennoch sieht es so aus, als hätte dein Freund nie existiert.«
»Wer könnte das getan haben?«
»Namenlose Gesichter mit …« Sie unterbricht sich. »Bist du die Katze und ich die Maus? Genug mit deinen Fragen. Ich habe sie beantwortet, so gut ich kann, und dir Dinge erzählt, die du eigentlich nicht wissen darfst. Nun bist du an der Reihe. Sind weitere Erinnerungen zurückgekehrt?« Dr. Lysander lehnt sich vor, ihr ist anzumerken, wie neugierig sie ist, auch wenn sie sich Mühe gibt, gelassen zu wirken.
Einerseits habe ich den Wunsch, ihr alles zu erzählen. Dr. Lysander könnte im Computer nachsehen, was mit mir passiert ist, mir endlich Antworten geben. Anderseits bedeutet es Gefahr. Die Lorder haben mich im Visier, vielleicht hört jemand unser Gespräch mit!
Suchend sehe ich mich um. Hier könnten überall
Weitere Kostenlose Bücher