Zersplittert: Dystopie-Trilogie Band 2 (German Edition)
es gibt etwas, das Sie für uns tun können. Damit Kinder und Eltern in Zukunft nicht das Gleiche durchmachen müssen wie Sie. Und täuschen Sie sich nicht, hinter all dem stecken die Lorder. Nur ihretwegen sitzen wir jetzt hier.«
»Ich bin ganz Ohr.«
»Der Armstrong-Gedenktag. Wird Ihre Ansprache auf Chequers live übertragen?«
»Ja. Wie jedes Jahr. Aber …«
»Erzählen Sie der ganzen Nation von Ihrem Sohn. Ihrem Robert. Fangen Sie wie immer mit dem tragischen Tod Ihrer Eltern an. Dann erwähnen Sie, dass auch Robert von Bomben der Terroristen getötet wurde, anschließend erzählen Sie, was tatsächlich mit ihm geschehen ist. Damit alle Welt weiß, dass die Lorder ihre eigenen Gesetze brechen. Wenn Sie den Leuten die Augen öffnen, wenn das Volk weiß, was wirklich vor sich geht, dann wehrt es sich endlich.«
Mum schüttelt den Kopf. »Das funktioniert nie und nimmer. Die Lorder werden die Übertragung einfach abbrechen.«
»Wenn es stimmt, was Sie sagen, und die Übertragung tatsächlich live stattfindet, dann müssen Sie es nur schlau anstellen und schnell sein.«
»Und dann?«
»Ihnen werden die Leute glauben. Das ist der Anfang vom Ende der Lorderherrschaft. Und dann bringen wir Sie zu Robert.«
Mir schnürt sich der Magen zusammen. Wie wird Mum sich entscheiden? Was wird Nico tun, wenn die Antwort nicht in seinem Sinne ausfällt?
Doch als sie antworten will, bringt er sie mit einer Geste zum Schweigen. »Denken Sie erst einmal in Ruhe darüber nach. Sie müssen sich nicht sofort entscheiden. Gehen Sie jetzt.«
Mum steht auf und läuft zur Tür. Einen Moment lang habe ich furchtbare Angst, dass er sie nicht gehen lässt, weil er sich in einem Anfall von Verfolgungswahn einbildet, Mum könnte ihn an die Lorder verpfeifen. Erst als sie verschwunden ist, atme ich wieder auf. Ich kann nicht einschätzen, auf welcher Seite Mum steht; es könnte sogar sein, dass sie es war, die mich an die Lorder verraten hat, aber davon hat Nico zum Glück keinen Schimmer. Wie soll er also wissen, wie sie jetzt reagieren wird?
Schleppend verstreicht eine Minute, bevor Nico mich aus der Kammer lässt. »Komm, wir gehen.«
Durch die Hintertür hinaus zum Wagen. Über ein, zwei Seitenstraßen und einige scharfe Kurven. Nico ist auf der Hut, aber niemand folgt uns.
»Wir fahren zum Haus. Wir müssen reden«, sagt er.
»Weißt du wirklich, wo Robert steckt?«
»Noch nicht, aber bald.« Er sieht mich von der Seite an. »Du kennst sie besser als ich. Wie wird sie reagieren?«
»Ganz ehrlich. Ich weiß es nicht.«
»Ich auch nicht«, sagt er zu meiner Überraschung. Ungewöhnlich, dass Nico mal zugibt, unsicher zu sein. »Aber sei unbesorgt, für den Notfall haben wir noch einen Plan B.«
Den restlichen Weg legen wir schweigend zurück.
Als wir im Haus ankommen, zieht mich Nico unter den fragenden Blicken der anderen sofort in sein Büro. Katran ist da, ebenso der Rest der Truppe. Tori sieht durch mich hindurch, als wäre ich Luft.
»Setz dich«, sagt Nico und macht die Tür zu. Wir sind allein. Dann rückt er den zweiten Stuhl direkt vor meinen, hebt mein Kinn, damit wir uns in die Augen sehen. »Über eine Sache müssen wir dringend reden, Rain. Ich habe gehört, dass du bei Ben warst.«
»Was?« Vor Schreck springe ich auf, der Verrat trifft mich schwer. Hat Katran doch geredet? Dabei hat er mir doch tausend Gründe aufgezählt, warum er auf keinen Fall etwas sagen würde!
»Das war ausgesprochen leichtsinnig von dir.« Nico drückt mich zurück auf den Stuhl und hält meine Hand, als fürchte er, ich könnte weglaufen. In seinem Gesicht spiegelt sich Entschlossenheit und ich bekomme es mit der Angst zu tun.
Doch bevor ich etwas sagen kann, hebt er die Hand. »Nun warte mal. Du hättest es nicht tun sollen, es war gefährlich. Wenn man dich erwischt hätte, sähe es für uns alle schlecht aus. Und das weißt du auch. Trotzdem verstehe ich dich.«
»Wirklich?«
»Na klar. Ich weiß, wie es sich anfühlt, wenn man jemanden verliert, den man liebt.« Mitfühlend sieht er mich an. »Erzähl mir von dem Treffen, Rain. Wie hat Ben reagiert?« Und seine Augen, die fremd und vertraut zugleich sind, trösten und locken mich aus der Reserve. »Erzähl schon«, sagt er wieder.
»Es war schrecklich. Ben hat mich nicht erkannt, konnte sich überhaupt nicht an mich erinnern! Keine Ahnung, was die mit ihm angestellt haben …«
»Ich schon.«
»Wie, du schon?«
»Ich weiß, was mit ihm passiert ist.«
Er hält inne.
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