Zerwüteter Pakt (German Edition)
Hause zu fahren. Jetzt war eh alles zu spät! Ohne Kirt oder das Buch wirkte sie aufgeschmissen. Warum also sollte sie ihrem Vater das Weihnachtsfest verderben?
Innerhalb kürzester Zeit stand sie mit Sack und Pack wieder am Bahngleis. Gloria wartete in der Kälte auf den nächstmöglichen Zug nach Frankfurt, rief unterdessen ihren Vater an, dass sie die erste Bahn verpasst hatte und stieg in den warmen ICE Richtung Osten ein. Gloria fühlte sich entwurzelt. Das Buch fehlte ihr so sehr, als wäre ein Teil ihrer selbst über Bord gegangen. Noch dazu schien damit jegliches Tor zum Zwischenirdischen verloren. Schlimmer konnte es gar nicht mehr kommen! Die Reise nach Weimar dauerte über sechs Stunden. Als Gloria schließlich spät abends den Fuß auf den alt vertrauten Weimarer Bahnsteig setzte, erspähte sie ihren Vater sofort. Er lief freudestrahlend zu ihr. Sein Blick fiel fragend auf das kleines Fässchen Altbier in ihrem Arm, das Gloria extra besorgt hatte.
»Frohe Weihnachten, Papa!« Gloria hielt ihrem Vater stolz das Weihnachtsgeschenk entgegen. »Ich konnte es nur leider nicht mehr einpacken.« Herr Truhst lachte und nahm Gloria das Fass ab. Gleichzeitig sah er sich verwundert um. »Wo ist Kirt?« Tja, da war sie – die alles vernichtende Frage. Normalerweise trieb es Gloria allein schon beim Gedanken an Kirt die Tränen in die Augen, doch überraschenderweise wirkte sie gut auf diesen Moment vorbereitet. Nur die Antwort… die hatte Gloria nach wie vor nicht parat. »Du sagst ja gar nichts.« Herr Truhst schaute sie forschend an. »Ist was passiert?« Gloria wich ihm aus. »Wir sind nicht mehr zusammen, aber ich will nicht darüber reden, okay?« Irritiert musterte Herr Truhst sie, doch schließlich nickte er stumm, hob ihren Rucksack vom Boden auf und ging mit Gloria zum Ausgang.
Seine weihnachtliche Freude schien wie fortgewischt. Schlimmer noch: Im Auto räusperte er sich mehrfach und rutschte unruhig auf seinem Sitz herum. Jedes Mal, wenn Gloria ihn ansah, entfloh er ihrem Blick und allmählich fragte sie sich, welche Ursache hinter dem seltsamen Verhalten ihres Vaters steckte. »Was hast du?« Herr Truhst räusperte sich erneut. Er setzte den Blinker und bog in die Haydnstraße ein – Glorias Zuhause. Doch als er den Motor abstellte, blieb Herr Truhst angeschnallt sitzen und atmete hörbar aus. Dieses Benehmen passte so gar nicht zu ihm!
»Weißt du… Wenn wir jetzt reingehen, dann…« Herr Truhst sah Gloria an und wusste nicht, wie er sich am ehesten ausdrücken sollte, als es ihr eiskalt den Rücken hinunterlief. »Ich habe auch jemanden kennen gelernt, weißt du.« Gloria blickte ihrem Vater starr in die Augen, als er fortfuhr: »Sie heißt Kamilla.« Lange Zeit sagte keiner von beiden etwas. »Oh…« Gloria nickte. Das passte natürlich wie die Faust aufs Auge: Kirt war weg, aber ihr Vater hatte eine Neue. Selbst wenn es zu seinem guten Recht zählte, sich neu zu verlieben, war es etwas anderes, wenn sich in diesem Haus plötzlich nicht mehr ihre Mum, sondern eine fremde Frau ausbreitete! Das würde ja ein spaßiges Weihnachtsfest geben…
Die Stimme ihres Vaters klang vorsichtig: »Du sagst ja gar nichts.« Was sollte sie auch schon sagen? Am liebsten hätte Gloria die Gestalt einer Seele angenommen und sich – genauso wie Kirt damals – auf dem Meeresgrund zusammengekauert mit der Hoffnung, dass die Meldungen schlechter Nachrichten abriss! »Seit wann seid ihr denn schon zusammen?« Die Antwort erschien Gloria fast schon egal, doch irgendetwas musste sie ja schließlich sagen. »Erst eineinhalb Monate.« »Ah…« Gloria schnallte sich ab und stieg aus. Einerseits wollte sie ihre schlechte Laune nicht an ihrem Vater auslassen, andererseits fragte sie sich, ob ihre Mutter plötzlich so schnell austauschbar war.
Gloria blieb an der Haustür stehen, während Herr Truhst hinter ihr herkam. Er steckte den Schlüssel ins Schloss, als Gloria das Wort ergriff: »Liebst du sie?« Ihr Vater hielt inne und wartete kurz ab. »Das kann ich noch nicht sagen, aber sie ist ein sehr lieber Mensch, weißt du?« Gloria atmete hörbar aus. Am liebsten hätte sie auf dem Absatz kehrtgemacht. Doch stattdessen drehte sie den Schlüssel, der bereits im Schloss steckte, und trat in den Flur. Während Herr Truhst unsicher die Tür hinter sich schloss, verbrachte Gloria sehr viel Zeit damit, ihre Jacke und Schuhe auszuziehen… ehe sie ins Wohnzimmer trat, und da saß sie: Der weibliche Eindringling in ihr
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