Zerwüteter Pakt (German Edition)
früher einmal so vertrautes Zuhause. Kamilla! Braune, halblange Haare, lächelnd, unscheinbar.
Vielleicht war sie sogar ganz nett. Aber an diesem Abend fühlte Gloria sich beim besten Willen nicht dazu aufgelegt, ihr eine Chance zu geben. Herr Truhst ging zusammen mit ihr auf Kamilla zu, die sich lächelnd vom Sofa erhob und Gloria die Hand entgegenstreckte. »Hallo, ich bin Kamilla.« Gloria gab sich Mühe, ihr wenigstens zuzunicken und die Hand zu geben. »Gloria.« Kamilla lächelte erneut. »Dein Vater hat mir schon viel von euch erzählt.« »Von uns?« »Na, von deinem Freund und dir…« »Oh.« Gloria nickte. Mit dieser Frau wollte sie als allerletzte über Kirts Tod sprechen. Das Weihnachtsfest war im Prinzip vorher auch schon gelaufen. Aber dies sollte mit Abstand der Tiefpunkt sein! Glorias Vater wechselte schnell das Thema:
»Hast du Hunger? Wir haben extra noch etwas aufgehoben.« Vielleicht wäre Gloria nach der langen Reise sogar hungrig gewesen, doch nicht in diesem Moment! Mit einem entschuldigenden Blick stand sie auf und ging zur Wohnzimmertür. »Ich leg´ mich lieber ein bisschen hin.« Lautlos verließ Gloria den Raum und verschwand über die Treppe in ihr Zimmer. Dies war mit Abstand das schlimmste Weihnachten, das sie je erlebt hatte. Dabei standen die eigentlichen Festtage erst noch bevor. Ratlos setzte sich Herr Truhst neben Kamilla aufs Sofa. Er wirkte traurig und Kamilla hakte sich tröstend in seinen Arm ein. Niemand sprach ein Wort. Die Spannung und Vorfreude auf diesen Tag schien mit einem Schlag wie fortgewischt. Herr Truhst ließ enttäuscht seine Hand auf den Oberschenkel fallen. »Es konnte ja auch niemand ahnen, dass die beiden nicht mehr zusammen sind!«
Gloria blickte in ihr aufgeräumtes Zimmer. Dieser Raum war voller Erinnerungen – gespickt von dem plötzlichen Aufbruch im vergangen Herbst. Kurzerhand legte sie sich aufs Bett und hoffte, dass der Wunsch nach Schlaf diesen schrecklichen Tag schleunigst beendete. Stattdessen drehten sich ihre Gedanken im Kreis. Ihr Vater hatte eine Neue! Kirt war fort, das Buch auch. Damit schien auch der Kontakt zu Maribell unmöglich zu sein. Das Leben konnte grausam sein! Stumm weinend strich Gloria über den kleinen Anhänger an ihrer Kette. – Kirts Kette …
Am nächsten Morgen erwachte sie erst spät. Es war schon viertel vor elf, als Gloria ihre Augen öffnete. Zig Male war sie diese Nacht aufgewacht. Wieder und wieder hatte sie der gleiche Alptraum eingeholt, wobei fraglich schien, ob sich die Realität selbst nicht schon in einen Alptraum verwandelt hatte und sich in ihren Träumen spiegelte. Das Verschwinden des Buches, die Bilder der Gefängniszelle, in der sie Kirt das letzte Mal gesehen hatte und sein Abschiedsbrief kehrten im Traum immer wieder vor ihr geistiges Auge zurück.
Aus der unteren Etage drangen Wortfetzen zu ihr nach oben. Gloria spitzte die Ohren. Sie atmete tief durch und bereitete sich innerlich auf die nächste Konfrontation mit ‹Miss Neu› vor, ehe sie die Treppe nach unten ging und ihren Kopf durch die Küchentür steckte. »Guten Morgen.« Gloria blickte in zwei unsicher dreinschauende Gesichter. »Guten Mittag würde es eher treffen.« Ihr Vater lächelte zögerlich und schob einen der Küchenstühle einladend in Glorias Richtung.
Während sie einen halben Zentner Schoko auf ihr Brötchen lud, vermied Gloria mit Absicht jeglichen Blickkontakt zu Kamilla. Und obwohl sie gar nichts zu diesem Thema sagen wollte, platze es plötzlich aus ihr heraus: »Wohnst du jetzt schon hier?« Es klang nicht sonderlich freundlich – eher monoton und gleichgültig. Kamilla lächelte Gloria unsicher an. »Nein… Aber ich bin sehr gerne bei deinem Vater.« Gloria schaute kurz zu Kamilla und widmete sich rasch wieder ihrem Brötchen. Auf ein Neues stellte sich ein peinliches Schweigen ein, bis Kamilla plötzlich aufstand und sich ins Wohnzimmer entschuldigte. Als die Küchentür zufiel, bildete sich in Glorias Hals ein Kloß. Gleich würde ihr Vater auf seine typische Art ein Gespräch erzwingen, das zur Klärung der angespannten Situation führen sollte.
Vorsorglich stopfte Gloria sich den Mund mit einem riesigen Bissen voll. Auf diese Weise hätte sie nicht gleich antworten müssen, wenn ihr Vater loslegte. Zu ihrer Überraschung brach Herr Truhst das Schweigen jedoch nicht und beobachtete seine Tochter so lange beim Essen, bis sie endlich fertig war. Gloria wollte gerade aufstehen, als ihr Vater schließlich doch
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