Ziemlich böse Freunde: Wie wir die Bandidos in Deutschland gründeten (German Edition)
Vertrauten. Da ist keiner zur Polizei gerannt und hat Anzeige erstattet. Da gab es keine Handys und demzufolge auch keine Handyfotos. Links, rechts, bis einer lag; und wenn demjenigen diese Liegeposition nicht passte, kam er später eben mit ein paar Kumpels zurück und hat die Sache geradegerückt. Ohne Polizei, ohne Anwalt, ohne Anzeige.
Zu der Zeit war es sehr viel einfacher und vor allem freier, sich als Rocker durch die Welt zu bewegen. Wenn wir irgendwo auftauchten, sind die Leute stehen geblieben, haben geschaut oder sich abgedreht und das war’s. Keine Polizeikontrollen, keine Behördenschikanen – nichts dergleichen. Wenn du heute einen Blödmann auch nur schief anschaust, liegen Stunden später diverse Handyfotos und Aussagen bei den Ermittlungsbehörden auf dem Tisch und schon wird wegen versuchten Totschlags oder sonst eines Fabelverbrechens ermittelt. Ein Alibi braucht man auch keines mehr, denn während man zur Vernehmung bei der Polizei sitzt, werden schon Handy- und Navigationssystemdaten ausgewertet. Oder die Überwachungskameras an Straßen, Discos und anderen Läden.
Früher, wenn man als Club im großen Pulk auf eine Rallye gefahren ist, gehörte es fast schon zum guten Ton, dass man bei seinen Stopps komplette Tankstellen auseinandergenommen hat. Wenn da 50 oder 60 Rocker in den Tankshop hineingegangen sind, waren die Regale in null Komma nichts leer geräumt. Und da ist nie etwas passiert. Selbstverständlich kann man fragen, ob so etwas dem Tankstellenpächter gegenüber die feine Art war. Aber wir waren Rocker, wir fühlten uns frei – und zwar auch frei von jeder Konvention, und Auftritte dieser Art gehörten nun mal mit zum Spiel.
Wir haben keine Heimspiele gebraucht, wie die Hooligans, um uns zu treffen – wir hatten überall unsere Spielwiese, ob nun in Kneipen, bei Treffs oder zufälligen Begegnungen beim Tanken. Und wir zogen auch nicht – wie die Hools – unsere Colours am Montag wieder aus, wenn wir auf Schicht fuhren. Wer ein Rocker war, war es immer. Zu jeder Tages- und Nachtzeit und das jeden Tag.
Wer kein Geld hatte, wurde von den anderen mitgetragen, das war überhaupt kein Thema. Zu jener Zeit schmiss man am Freitagabend das Geld zusammen und dann zog man los, ging in Kneipen oder ins Clubheim, kaufte Bier, irgendwann eine Currywurst dazu und dann war Party bis zum nächsten Schichtbeginn. Und da es damals allein in Gelsenkirchen drei – die Ghostrider’s, die Freeway Riders und die Flying Wheels – und im Ruhrgebiet bestimmt 40 oder 50 Clubs gab, war es doch sonnenklar, dass es irgendwann auch mal wieder knallte. Gerade im Pott, wo du gerade einmal eine Straße weitergehst und an der Ecke in einer neuen Stadt stehst, war es völlig normal, dass man sich ständig in fremdem und zum Teil auch feindlichem Revier aufhielt. Und wenn gar nichts half, ist man einfach in den frühen Morgenstunden in die Großmarktkneipen von Gelsenkirchen gegangen. Dort traf sich alles, was Rang und Namen hatte: Zuhälter, Säufer, Schläger, Rocker. Wer es in dieser Umgebung nicht zu einer ordentlichen Schlägerei brachte, hatte seine Kutte nicht verdient. Und nur darum ging es: Spaß haben, mit den Kumpels feiern, Motorrad fahren, Mädchen abschleppen und dann und wann einem Hohlkopf eins auf die Rübe geben. Und danach wieder auf Schicht gehen und ein bisschen Geld verdienen, das man an den Wochenenden wieder raushauen konnte. Ehrlich, das war die beste Zeit unseres Rockerlebens.
Was in den 60er- und 70er-Jahren in Deutschland zunächst nur als Modeerscheinung betrachtet wurde, die aus den USA nach Europa rübergeschwappt war, wurde dann doch zu einem festen Bestandteil der Gesellschaft. Diese Bewegung verschwand eben nicht nach kurzer Zeit in den Geschichtsbüchern, sondern etablierte sich mit den Jahren immer mehr. In manchen Gegenden – wie beispielsweise im Ruhrpott – war es schlichtweg cool und angesagt, Mitglied einer Rockergang zu sein. Dass es um diese Gruppierungen natürlich immer wieder Ärger und Auseinandersetzungen gab, liegt auf der Hand. Ganz besonders nachdem es von Jahr zu Jahr immer mehr Gruppen und Mitglieder gab.
Gerade Mitte der 80er-Jahre war es kaum noch möglich, die Übersicht zu behalten, zumal es uns in dieser Zeit natürlich an geeigneten Informationsquellen fehlte. Das Internet war noch nicht erfunden, die Zeitungen und TV-Sender hatten Wichtigeres zu berichten und einschlägige Szenemagazine gab es in dem Sinne auch noch nicht. Unser Kosmos zu jener
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