Ziemlich böse Freunde: Wie wir die Bandidos in Deutschland gründeten (German Edition)
nicht jede zweite Frau ein Arschgeweih oder dergleichen. Wer damals tätowiert war, fuhr entweder zur See oder kam aus dem Knast. Bei Les traf keine der beiden Möglichkeiten zu, wenngleich er wohl auch während seines Wehrdienstes ein paar Wochen im Bau saß. Befehl und Gehorsam waren in diesen Tagen nicht gerade sein Fachgebiet …
Die Tattoos hatte Les sich wohl während seiner Zeit im Untergrund in der Schweiz stechen lassen. Die Tage müssen lang gewesen sein, denn Les war von oben bis unten tätowiert. Und er steckte in Lederklamotten, die er, wie ich später noch feststellen konnte, nur selten auszog. Mein erster Eindruck: Dieser Kollege ist völlig bekloppt. Und dieser Gedanke sollte mich auch nicht trügen. Heute, nach gut 30 Jahren bester Freundschaft, denke ich das noch immer jeden Tag: Dieser Kerl hat einen an der Waffel und gerade deshalb wird uns beide nie etwas auseinanderbringen …
Vom Gelsenkirchener Hauptbahnhof ging es auf direktem Weg in die Bar »Airport« im Gelsenkirchener »Szeneviertel«, sofern man in dieser Stadt überhaupt von einer Szene sprechen konnte. Das »Airport« war für Pottverhältnisse vergleichsweise schick eingerichtet, was jedoch den gemeinen Mann und Schläger nicht abhielt, auch dort hin und wieder ein paar Kurze zu nehmen. Und so kam es auch im »Airport« nicht selten vor, dass der Wirt nach einem gemütlichen Abend frisch renovieren und sich im Möbelhaus neue Tische und Stühle besorgen musste. Das war am Ende eine Mischkalkulation. Die harten Jungs ließen schließlich immer auch ordentlich Geld liegen – am Ende dürfte die Rechnung trotz einiger Kollateralschäden immer aufgegangen sein. Wir zumindest haben nie etwas Gegenteiliges gehört und waren fast überall gern gesehene Gäste. Und eines muss an dieser Stelle auch festgehalten werden: Die Rocker und Schläger prügelten sich immer nur untereinander. Fremde, unbeteiligte Außenstehende, Frauen und Kinder ließ man in Ruhe. Ein Grundsatz, der bis heute Bestand hat, auch wenn immer wieder versucht wird, das Gegenteil zu berichten.
Es wurden auch nur selten Bullen gerufen, wenn sich mal wieder ein paar Jungs die Fresse polierten oder das Mobiliar einer Kneipe zerlegten. Am Ende des Tages wurde man sich immer einig, wer für den Schaden aufkam. Häufig beim Schnaps danach, wenn man nach vollbrachter Tat mit seinen Gegnern von gerade eben noch einen Absacker an der Theke nahm. Im Grunde war ja auch nichts passiert. Den Tisch konnte man ersetzen und die Platzwunde im Bergmannsheil-Krankenhaus in Gelsenkirchen-Buer wieder nähen lassen. Und im Krankenhaus hat auch keiner gefragt, was geschehen war. Die Wunden wurden versorgt und fertig. Heute ist das Krankenhauspersonal verpflichtet, die Polizei zu informieren, wenn jemand mit Verletzungen daherkommt, die ziemlich eindeutig einer äußeren Gewalteinwirkung zuzuordnen sind. Das war einfach so. An den Wochenenden war völlig klar, dass der eine oder andere mit einer eingeschlagenen Birne auftauchte – da hat kein Mensch danach gefragt.
Wir sind also am 30. April 1984 auf dieser Bank ins Gespräch gekommen und ich erzählte ihm, dass ich gerade zum ersten Mal Vater geworden sei und es aus diesem Grund am Abend eine Party geben würde. Les sagte zu und tauchte auch tatsächlich auf. Ich selbst habe allerdings nicht viel von ihm mitbekommen – wie ich an diesem Abend generell nicht viel gepeilt habe. Ich weiß nur aus späteren Erzählungen, dass Les bereits bei diesem Treffen schnell zu dem Ergebnis gekommen war, dass ich – wie er es immer so schön ausdrückte – gewaltig einen an der Kirsche hatte. Das war noch immer nicht der Beginn einer wunderbaren Freundschaft, sondern nur ein erstes Vorglühen. Und zwar im besten Wortsinn!
Les war damals beim Ghostrider’s MC und ich noch immer bei den Devil Snakes. Die Ghostrider konnte ich persönlich zu jener Zeit nicht leiden. Mir war der Club zu groß und die meisten Mitglieder zu eingebildet. Eine Hochnäsigkeit, die vermutlich auf der Größe dieses MCs gründete und die – das durfte ich später noch häufig feststellen – immer von den Mitgliedern kleinerer Clubs so empfunden wurde. Es ist natürlich tatsächlich so, dass sich auch heute noch viele Mitglieder sogenannter Weltclubs etwas darauf einbilden und dementsprechend auch in der Öffentlichkeit so auftreten. Dieses Verhalten ist zweischneidig. Natürlich darf man stolz darauf sein, Member eines großen Clubs zu sein. In der Regel gehen dieser
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