Ziemlich böse Freunde: Wie wir die Bandidos in Deutschland gründeten (German Edition)
die Backen. Das ewig gleiche Spiel mit den gleichen alten Finten und dennoch hat es immer funktioniert. Und wenn gar nichts half, schnappte man sich im Bus die Gymnasiasten, nahm ihnen die leckeren Pausenbrote ab und gab ihnen als kleines Entgelt eins auf die Nase.
Zu der Zeit wussten wir in Gelsenkirchen noch nichts von den Bandidos, den 81ern oder anderen großen Motorradclubs. Das war Ende der 70er-Jahre. Da kannte man noch nicht einmal das Internet. In den 70ern war die Zeit noch gänzlich analog. Im Fernsehen gab es drei Programme und die schickten wechselweise Peter Frankenfeld, Rudi Carrell und Hans Rosenthal in die Wohnzimmer. Käseigel und der Toast Hawaii standen neben Fernbedienungen, die so groß wie elektrische Schreibmaschinen waren – und die meisten schauten noch Schwarz-Weiß. Dafür war das Denken noch ein wenig bunter …
In den 60er- und 70er-Jahren musste man schon in die Stadtbibliothek gehen und ganz gezielt ein Buch zum Thema Rocker suchen – wenn es denn schon welche gab. Vom Informationszeitalter war man noch ein ganzes Stück entfernt. Mein persönlicher Horizont in Sachen Rockergang ging exakt bis zum Ende meiner Straße. Alles, was sich bei uns als Lebensstil entwickelte, war tatsächlich gelebt – von uns selbst oder von den Jungs in unserem Viertel, die wir vergötterten, nicht aus Zeitschriften oder den Nachrichten.
Es gab eben Rocker, Halbstarke. Schlägertypen in Lederjacken und Kutten. Und die gab es fast überall. Mal war es eine Gang aus einem Viertel, mal kamen sie vom Dorf. Gefahren wurde alles, was einen Motor und einen Vergaser hatte, von der Zündapp bis zur Honda oder Kawa. Hoher Lenker drauf, ein paar Fransen irgendwo und fertig war der Chopper.
Natürlich gab es Rockerfilme wie The Wild One mit Marlon Brando und Easy Rider mit Jack Nicholson, aber wer hatte denn diese Filme in dem Alter schon gesehen? Unsere Welt war sehr viel kleiner. Übersichtlicher. Und in gewisser Weise auch schlichter. Wenn heute einem Bandido in Indonesien der Sprit an seiner schicken Harley ausgeht, kannst du das Minuten später auf Facebook oder via Twitter nachlesen. Und wenn sich ein Angler in Andalusien den Kopf an einer Bierflasche stößt, sowieso. Dann gibt es die Berichte über den Rockerkrieg noch gratis dazu …
Was ich damit sagen möchte, ist, dass wir unsere persönlichen Einflüsse einzig und allein auf der Straße vor unserer Tür geholt haben. Genau dort entschied sich letztlich, welchen Weg man einschlagen würde – völlig unabhängig von aktuellen Trends. Wir waren »Follower«, aber gänzlich ohne den ganzen Twitter-Scheiß! Wir haben nicht gelesen, wir haben ge- und erlebt, etwas, was viele junge Leute heute gar nicht mehr kennen!
Nun ja, und zu diesem analogen Leben gehörte es dann eben auch, dass man zügig seinen Hauptschulabschluss machte und, wie in meinem Fall, schon bald eine Lehre als Schlosser auf der Zeche begann. Und mit 19 zum ersten Mal Vater wurde …
Verlorene Zeit
von Les H.
Wenn ich mir diese Kapitelüberschrift noch einmal anschaue, bin ich mir gar nicht mehr so sicher, ob ich sie so stehen lassen möchte. Was ist denn die verlorene Zeit? Gibt es sie überhaupt? Zieht man am Ende aus jeder Lebensphase nicht doch etwas Positives? Sehe ich die Zeit, die ich in den Jugendmannschaften von Schalke 04 verbracht habe, als verlorene Jahre? Ja. Und nein.
Wer in jungen Jahren als talentierter Sportler gilt, muss zwangsläufig Opfer bringen. Das ist am Anfang nicht weiter schlimm und es fällt in den ersten Jahren eigentlich auch nicht weiter auf. Dann aber, wenn die Pubertät einsetzt und man als Teenager naturgemäß andere Dinge im Kopf hat als Trainingspläne und Regenerationsphasen, kommt es zu starken inneren Konflikten. Natürlich träumt man ständig davon, den Sprung zum Profifußballer zu schaffen, und das ist ja nun etwas, was nur die allerwenigsten erreichen. Andererseits sieht man, dass sich das Leben ganz signifikant von dem der Freunde unterscheidet. Man driftet geradezu auseinander.
Während die Jungs von der Straße ihr Leben im Viertel immer weiter ausbauen, bist du als Nachwuchshoffnung auf Schalke ziemlich isoliert. Die anderen hängen in ihren Cliquen herum, feiern an Wochenenden immer ausufernder ihre Partys, und das B-Jugend-Ass von S04 geht mit 16 oder 17 Jahren noch um acht Uhr in die Koje.
Dafür durfte ich mit 15 Jahren schon Autogramme schreiben und auch an Mädchen hatte es uns Jugendspielern nie gefehlt. In der Beziehung war
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