Zigeuner
diferentes«: Unter diesem Motto trafen sich Tausende katholischer Zigeuner vor Jahren zur Fiesta der Madonna de los Remedios in dem spanischen Wallfahrtsort Fregenal. »Wir sind gleich, wir sind anders.« Nur ist es für einen Gadscho nicht einfach, jene Momente der Differenz, des Anders-Seins der Roma zu benennen. Das mag an den Zigeunern selbst liegen, die sich starren Definitionen verweigern. In jeder Aussage über ihre Wesensart scheinen sie sich zu verflüchtigen, kann doch jede Behauptung über ihr Naturell mit dem Rekurs auf gegenteilige Erfahrungen widerlegt werden.
Wer die Roma verstehen möchte, wer etwas erfahren will, über ihre Lebensfreude und ihre Leidensfähigkeit, über ihr Gottvertrauen und ihre Duldsamkeit, ihre Freigebigkeit und ihren Gemeinschaftssinn, ihre Fabulierfreude und ihren Mutterwitz, wird die Erfahrung machen, dass der Reichtum der ziganen Kultur unter der vollkommenen Humorlosigkeit der Anti-Antiziganisten verdorrt. Ihre bürokratische Sprache ächzt unter der Last bibliografischer Anmerkungsapparate, ihr haftet der Ruch deutscher Hyperkorrektheit an, gepaart mit einem Jargon, der zwischen Gedichtinterpretation in Klasse zehn und soziologischem Proseminar der siebziger Jahre changiert. Das wäre nicht weiter beachtenswert, würden sich die Autor_innen nicht für erhellt genug wähnen, die unaufgeklärte Dominanzgesellschaft ideologiekritisch durchleuchten zu können.
Der Kölner Völkerkundler Rüdiger Benninghaus macht keinen Hehl daraus, dass der Demaskierungswahn allmählich »inflationäre Ausmaße« angenommen hat. Er selbst setzt zur gegenseitigen Verständigung lieber auf Begegnungen von Zigeunern und Gadsche, statt »ständig im Erdreich nach antiziganistischen Trüffeln zu suchen«. Mir gefällt dieses Bild. Es ist plastisch, allgemeinverständlich und entbehrt in seiner Erdverbundenheit nicht eines Hauchs von Poesie. Gewiss ist es nicht in Ordnung, Menschen zu animalisieren. Außer man schreibt Fabeln. Aber wenn ich die Detektive der politischen Korrektheit als eine Rotte Trüffelschweine imaginiere, die grunzend jede Verästelung des gesellschaftlichen Unterholzes nach Verobjektivationen rassistischer Diskriminierungen durchwühlt, so hat das auf mich eine besänftigende Wirkung, und mein Urteil über die intellektuellen Kapriolen der Anti-Antiziganisten fällt spürbar milder aus.
Ihre am häufigsten benutzten Attribute sind »sogenannt« und »angeblich«, was in Verbindung mit geschlechtsspezifischen Differenzierungen Wortkombinationen wie »sogenannte Zigeuner_innen«, »angebliche Taschendieb_innen« oder »sogenannte Bettler_innen« gebiert. Das am häufigsten verwendete Satzzeichen ist das signum citationis, das allgegenwärtige Anführungszeichen. Alle halbwegs sinnhaften Assoziationen, die mit Zigeunern zu Recht oder Unrecht verknüpft werden, wie »frei«, »müßiggängerisch«, »temperamentvoll«, »kinderreich«, »abergläubisch« oder »lustig« werden kategorisch von An- und Abführungszeichen flankiert, womit die Verfasser_innen unter ihresgleichen die Kompetenz signalisieren, den falschen Schein der Begriffe zu durchschauen.
Dennoch mutet die Sprache in ihrer Unbeholfenheit irgendwie drollig an, zumal sich die Autor_innen derart wichtig nehmen, dass sie sich ständig im Irrgarten ihrer selbstreflexiven Standortbestimmungen verlaufen. Ein Beispiel. Wer hin und wieder »sogenannten Zigeuner_innen« begegnet, weiß, dass die Roma einigermaßen zwischen Mann und Frau unterscheiden können und die Rollen zwischen den beiden Geschlechtern recht eindeutig definiert sind. Mozes Heinschink und Daniel Krasa stellen in ihrer kleinen Einführung in die Sprache Romani und die Kultur der Roma, Romani Wort für Wort, denn auch fest: »Rufe nach Gleichberechtigung im feministischen Sinne gibt es bis heute nur sehr spärlich.« Da sind Markus End und die Mitherausgeber_innen des Sammelbandes Antiziganistische Zustände den Zigeunern um etliche emanzipatorische Schritte voraus:
»In dieser Publikation werden Bezeichnungen von Personengruppen in der feministischen Schreibweise mit einer ›Lücke‹ gekennzeichnet. Diese Lücke steht für all jene, die sich nicht ›männlich‹ oder ›weiblich‹ verorten und in der Sprache keinen Raum finden. Damit impliziert diese Schreibweise eine Kritik an der dualistischen heteronormativen ›Geschlechterzuordnung‹, in dem Bewusstsein, dass der sprachliche Hinweis allein nicht ausreicht, diese aufzuheben. Wir sind uns des
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