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Zigeuner

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Titel: Zigeuner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bauerdick Rolf
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Dilemmas bewusst, dass wir damit Gruppen eine emanzipatorische Sicht der Dinge unterschieben, in deren Weltbild eine solche per se ausgeschlossen ist, z. B. bei ›Nationalsozialist_innen‹. Wir möchten deshalb darauf verweisen, dass die Verwendung dieser Schreibweise auf die sensibilisierte Sicht der Schreibenden referiert und nicht zwangsläufig mit dem Verständnis der beschriebenen Gruppe korrespondiert.«
    Weiter entfernt zu sein vom Denken und Fühlen eines spanischen Kalé, einer deutschen Sintezza oder eines polnischen Lovara geht definitiv nicht. Sollte man meinen.
    Unter dem Titel »Roma – Die Außenseiter« erschien in dem Magazin National Geographic eine umfangreiche Reportage über ein Volk, wie es im Vorspann hieß, »das überall auf der Welt für seine Rechte und den Fortbestand seiner Kultur kämpft«. Die Bilder stammten von dem polnischen Fotografen Tomasz Tomaszewski. Er ist ein ruhiger, international sehr erfahrener und geschätzter Kollege. Wer einmal seinen reichen Fundus an Roma-Bildern gesehen hat, spürt, wie gewissenhaft er für National Geographic die zentralen Aspekte des ziganen Lebens mit der Kamera dokumentiert hat. Das sieht die Soziologin Ines Busch ganz anders. In ihrer Studie »Das Spektakel vom ›Zigeuner‹ – Visuelle Repräsentation und Antiziganismus« hat sie die fotografische Bildsprache dieses National-Geographic -Beitrags als »hegemoniales Reproduktionsregime« enthüllt. Dabei hat sie herausgefunden, dass nur zwei von dreiundzwanzig abgedruckten Fotografien Einzelpersonen zeigen, ansonsten aber mindestens zwei oder mehr Menschen abgelichtet sind, was die Volkskundlerin zu der These veranlasst, National Geographic lösche »das fotografierte Individuum zugunsten der Gruppe« aus. Frau Busch attestiert dem armen Kollegen Tomaszewski »paternalistische Intentionen« und einen »reduktionistischen und viktimisierenden Blick« und zieht so gesehen folgerichtig das deprimierende Fazit: »Das gängige Repräsentationsregime macht es dem Mythos vom Zigeuner leicht, Bilder von Roma zu vereinnahmen und seine antiziganistische Botschaft direkt in das Auge der/des Betrachter_in zu transportieren.«
    Was Frau Busch meint, erklärt sie anhand des Fotos einer rumänischen Zigeunerfamilie auf einem Pferdefuhrwerk. Der optische Eindruck wird dominiert von einer Romni links im Bild, von der die Bildunterschrift erzählt, dass sie Vilma Michai heißt und ihre Familie vom Pilzesammeln lebt. Während ihr Mann und drei Kinder eher im Hintergrund bleiben, macht Vilma Michai etwas, was geradezu nach interpretativer Sinngebung lechzt. Sie öffnet eine Bierflasche mit ihren Zähnen. Dadurch weckt das Bild gemäß Ines Busch »eine Konnotation, die in der bürgerlich-patriarchalen Welt der Leser_innenschaft von National Geographic eindeutig ausgrenzenden Charakter hat, da sie klare Rollenmuster und Geschlechterstereotype negiert und bedrohliche Uneindeutigkeiten zeigt«.
    Den Text des National-Geographic -Journalisten Peter Godwin habe ich immer wieder gern gelesen. Er ist wohlinformiert und mit Sympathie geschrieben. Obwohl der Autor und sein Dolmetscher unter Gejohle der Bewohner in einem rumänischen Zigeunerdorf niedergeschlagen und mit dem Messer an der Kehle ausgeraubt wurden, bleibt Godwin den Roma gegenüber in seiner Berichterstattung bemerkenswert fair. So dachte ich. Bis ich an einen Aufsatz geriet, dessen spekulativer Furor doch etwas ängstigt. Abgedruckt wurde er in dem zweiten Band der Beiträge zur Antiziganismusforschung. In der Studie mit dem Titel »Europäischer Antiziganismus in einer ›National Geographic‹-Reportage« klagt Tina Jung an. Ihr Vorwurf an das Reportagemagazin lautet: Verbreitung einer Einladung zum Völkermord.
    Was war geschehen? Peter Godwin hatte in dem slowakischen Dorf Jakubovany eine erboste Ladenbesitzerin, die sich über ihre ziganen Nachbarn beschwerte, mit den Worten zitiert: »Sie klauen alles, unsere Hunde, unsere Kühe, das Gemüse aus unseren Garten. In der Woche, bevor sie ihre Sozialhilfe bekommen, ist es am schlimmsten, dann sind sie knapp bei Kasse … Vor fünfzig Jahren lebten hier drei Zigeunerfamilien. Heute gibt es hier nur noch 400 von unseren Leuten, aber von denen 1400.« Die erboste Slowakin schlug als Lösung vor: »Man sollte diese Zigeuner alle auf ein Papierboot verfrachten und nach Afrika schicken.«
    Mit diesem Zitat hat National Geographic laut Tina Jung nichts anderes abgedruckt und verbreitet als »die Offerte zum

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