Zigeuner
schmachtende, bisweilen auch mächtig anzügliche Liebesgesülze, das dort aus den Lautsprecherboxen trieft, ist jeder Musikantenstadl eine intellektuelle Herausforderung. »Kitsch zielt bekanntlich mit klischeehaften, übertriebenen Gefühlen auf einen unausgebildeten, unkritischen Geschmack«, schreibt Christina Kalkuhl. Ihre Attacke trifft genau jene Menschen, die sie eigentlich vor Antiziganismen schützen will.
Kitsch auch in Schlafzimmern. Dort haben ihn Michail Krausnick und Daniel Strauß in ihrem Handbuch Sinti und Roma von A–Z ausgemacht. Demnach sollen über vielen deutschen Betten als »Projektionen bürgerlicher Sehnsüchte« all diese glutäugigen »Carmen-Zigeunerinnen« hängen, bisweilen gar »barbusig«. Nun kenne ich zwar niemanden persönlich, der sich solche Bilder bei uns aufhängen würde, gebe aber zu, dass meine Überprüfungen vor Ort lückenhaft sind. Krausnick und Strauß meinen, diese Kitschbilder seien »ein erotisches Zugeständnis für Spießerträume«, wobei sie leider nicht erklären, wer denn das Subjekt ist, das dieses Zugeständnis gewährt. Das wäre aber wichtig zu wissen. Denn sollte es gelingen, mit billigen Bildern feuriger Zigeunerinnen die erschlaffte Potenz des männlichen Teils der Dominanzgesellschaft wieder aufzupeppen, so wäre das kein Grund zu kulturpessimistischer Klage, sondern ein Anlass, sich bei den anonymen Künstlern zu bedanken.
Sagen will ich, dass mir Bildnisse dieser verlockenden Schönheiten als Fotograf sehr vertraut sind. In allen Varianten. In Öl gemalt, mit Garn gestickt, als Puzzle gelegt, als Wandteppich geknüpft und als Kunstdruck verblichen. Die Bilder hängen in Wohnzimmern, in denen ich ungezählte Roma-Familien porträtiert habe, im Viertel Barbu Liautiarul im rumänischen Blaj, in Holzhäusern im slowakischen Stráne pod Tatrami oder in den tristen Stadtwohnungen der Kalé in den Industriezonen von Bilbao. Die Porträts rassiger Romni zieren dort mit ebensolcher Selbstverständlichkeit die Wände wie Jesus als guter Hirte inmitten seiner Schäfchen, Maria und Joseph mit Heiligenschein, grellbunte Rad schlagende Pfauen vor prächtigen Palästen und grasende Pferde auf idyllischer Lichtung. Bei der Wallfahrt der Gitans in das Mittelmeerstädtchen Les Saintes-Maries-de-la-Mer erlaubte mir der französische Roma-Künstler Jangil Ros im Mai 2011 seine naiv romantisierenden Zeichnungen abzufotografieren, die er im Palais des congrès ausgestellt hatte: tanzende Gitanas, Sippen vor Wohnwagen, vor Zelten, am Lagerfeuer, singend und Gitarre spielend. Sogar die von Strauß und Krausnick als Massenproduktion geschmähten röhrenden Hirsche durfte ich ablichten, bei rumänischen Roma, als Wandbild hinter dem Fernseher, vor dem die drei Schwestern Ionina, Codrutza und Elvira aus Blaj mit ihrer Mutter Joana allabendlich der Serienschmonzette Inima de Tigan entgegenfiebern. Doch die nun wirklich kitschtriefende Geschichte vom »Herz der Zigeuner« soll erst später erzählt werden, das Risiko eingehend, dass zwischenzeitlich jemand die freundliche Joana Sirbu und ihre Töchter darüber aufklärt, welch zigeunerfeindliche Klischees sie pflegen.
»Versuche, die ›kulturelle Identität‹ der Sinti und Roma zu beschreiben, verstärken selbst dann, wenn sie gut gemeint sind, die Vorstellung von ihrer Andersartigkeit«, sagt Wilhelm Solms, der Vorsitzende der Gesellschaft für Antiziganismusforschung. Doch schützt solch eine Behauptung die Zigeuner tatsächlich vor Diskriminierung? Oder etabliert dieses Credo nur eine subtile Form der Missachtung, die den Zigeunern jeglichen Eigencharakter abspricht? Die Roma seien alles Mögliche, beklagt Solms, nur »keine normalen Menschen«. Nun ist das Selbstverständnis selbstbewusster Roma nicht deckungsgleich mit dem Fremdverständnis eines deutschen Literaturprofessors. Eigenwille und Unbändigkeit, aber auch ein Moment flüchtiger Ungreifbarkeit spricht aus dem poetischen Titel eines Buchs von einem der bekanntesten europäischen Roma-Menschenrechtler, Rajko Djurić: Zigeuner. Ein Volk aus Feuer und Wind. Und der kanadische Zigan Ronald Lee schreibt zu seinem autobiografischen Roman Verfluchter Zigeuner: »Wir sind die ältesten lebenden Nonkonformisten der Welt.« Zugleich fragt er besorgt: »Sind wir auch die letzten?« Für Wilhelm Solms stellt sich diese Frage nicht. Seine »Sinti und Roma« sind mutiert zu einem Volk ohne Eigenschaften.
Nicht so die Gitanos in Spanien. »Somos iguales, somos
Weitere Kostenlose Bücher