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Zigeuner

Zigeuner

Titel: Zigeuner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bauerdick Rolf
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    »Nach Auschwitz haben sich die meisten Dichter offenbar gescheut, die Sinti und Roma zum Thema zu machen – das Beste, was diesen bisher widerfahren ist«, sagt Solms in seinem Aufsatz »Zigeunerbilder deutscher Dichter«. Manche Autoren würden allerdings in Stil und Thematik noch immer so erzählen, »als ob es das Dritte Reich nicht gegeben hätte«. Als Beleg dient der in Riga geborene Werner Bergengruen. An anderer Stelle muss der deutsch-baltische Autor als Exempel dafür herhalten, in den fünfziger Jahren auf eine Weise von den Zigeunern erzählt zu haben, »als ob das Dritte Reich immer noch andauerte«. Solms wirft Bergengruen vor, die Beschreibung eines jungen Paares in der Novelle Die Zigeuner und das Wiesel (»eine weitgebogene Nase, ein wenig erhöhter Backenknochen, brennende schwarze Augen«) könnte aus »einer Rassenlehre stammen«. Zudem stehe Bergengruen in der Tradition, Zigeuner »mit wilden Tieren gleichzusetzen«. Denn bei beiden, bei den Zigeunern und dem Wiesel, sei »zudringliche Neugier mit ängstlicher Scheu gepaart«.
    Erinnert werden soll zumindest daran, dass Werner Bergengruen mit Der Großtyrann und das Gericht einen Schlüsselroman gegen Machtmissbrauch und Despotismus schuf und dafür 1937 von den Nazis aus der Reichsschrifttumskammer ausgeschlossen wurde. Ob für den Christen und Humanisten nach 1945 das Dritte Reich noch immer existierte oder womöglich zuvor nie existiert hatte, muss hier nicht entschieden werden. Haarsträubend sind beide Vorwurfsvarianten. Sie erledigen sich mit einem knappen, aber dankenswerten Hinweis, den Almut Hille in ihrer Doktorarbeit Identitätskonstruktionen: die »Zigeunerin« in der deutschsprachigen Literatur des 20. Jahrhunderts gibt. Demnach wurde Bergengruens Erzählung Die Zigeuner und das Wiesel nicht 1950 erstmals publiziert, wie Solms angibt, sondern bereits 1927, womit die absurde Behauptung, Bergengruen schreibe, als habe es das »Dritte Reich« nicht gegeben, dann irgendwie doch wieder stimmig ist.
    1930 erschien Hermann Hesses Narziß und Goldmund. Trüffel auch hier. Hesse wird von Solms bescheinigt, er reproduziere die »bürgerliche Doppelmoral«, bloß um »die Träume des Spießbürgers von der Liebe zur und mit der Zigeunerin« zu bedienen. Lise, so heißt die Heißblütige, wird nicht nur von dem Klosterschüler Goldmund begehrt, sie selbst begehrt auch den blonden Jüngling. Zusammen taumeln sie nächtens unter bleichem Mondhimmel im Heu in die Wonnen der Lust, bis die postkoitale Dämmerung die beiden in die Tristesse des Alltags zurückholt. Der verliebte Goldmund ersehnt ein Beisammensein mit der Ehebrecherin auch über die Nacht hinaus. Lise aber muss retour zu ihrem Mann, wissend, »er wird mich schlagen, weil ich die Nacht ausgeblieben bin«. Solch ein Satz riecht durchaus nach einem antiziganen Edelpilz, entpuppt sich bei näherem Beschnüffeln aber als ungenießbare Morchel. Hermann Hesse vermittelt laut Professor Solms das Klischee, »ein Zigeuner verprügelt eben seine Frau, und da sie nachts aushäusig ist, hat sie seine Prügel verdient«. So sind sie halt, die Zigeuner. Nur hat das Motiv der Gattinnenzüchtigung bei Hesse absolut nichts mit zigeunerspezifischem Verhalten zu tun. Hätte Wilhelm Solms nur ein paar Seiten weiter gelesen, so hätte er erfahren, dass der Sinnsucher Goldmund von einem erotischen Abenteuer ins nächste stürzt. Nur bleibt keine der Geliebten bei ihm, weshalb der arme Bursche sinniert, »warum kehren sie alle sofort zu ihren Männern zurück, von denen sie meistens Prügel zu fürchten haben?«
    Nebenbei erwähnt: 1997 schrieb ich eine Reportage über mazedonische Flüchtlinge, die nach dem Jugoslawienkrieg nach Deutschland geflüchtet waren, wo sie vergeblich auf ein dauerndes Bleiberecht hofften. Auch die Mädchen Bayramscha und Sabina, die jahrelang im nordrhein-westfälischen Remscheid gelebt hatten, wurden mit ihren Familien nach Mazedonien abschoben. Mit ihren siebzehn Jahren waren die Freundinnen für die Verhältnisse in der Roma-Siedlung Shutka fast schon über das Heiratsalter hinaus. Sie sprachen perfekt Deutsch, litten sehr unter der Trennung von ihren alten Freunden und schafften es kaum, den Spagat zwischen zwei verschiedenen Kulturen zu bewältigen. »Wir wollen keinen Mann von hier heiraten«, sagten die beiden. »Wir wollen zurück nach Deutschland. Dort arbeiten die Männer, und sie schlagen ihre Frauen nicht.«
    Argumentativen Beistand erhalten die jungen

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