Zigeuner
Lucian bestand darauf, die Hausnummer stimme, doch ich hegte Zweifel, an der richtigen Adresse gelandet zu sein. Nach königlicher Pracht sah das nicht aus.
Ich hatte zuvor viele Zigeunerpaläste fotografiert, sogenannte Kastellos, ein eklektizistischer Stilmix aus indischem Sakralbau, chinesischer Pagode und griechischem Säulentempel sowie einer gehörigen Portion individueller Geschmackseskapaden. Die imposanten Palais trugen Namen wie Vila Ciocolada, Vila Lazlo oder Vila Piedone und glänzten mit ihren zigfach gedoppelten Stufendächern aus verschnörkeltem Zinkblech wie silbrige Ufos in der Sonne. Auf den Turmspitzen prangten die überdimensionierten Initialen der Besitzer und die mittlerweile standardmäßigen Mercedessterne so groß wie Wagenräder. In Orten wie Sintesti, Huedin, Hunedora oder Buzescu ließ eine neue Geldelite unter den Roma, offiziell in der Metall- und Alteisenbranche zu Wohlstand gekommen, in einem aberwitzigen Wettbewerb ihrer Prunksucht freien Lauf. Dass in den Kastellos ganze Stockwerke leer standen, spielte keine Rolle. Die architektonische Großmannssucht diente nur sekundär dem Zweck des Wohnens, primär ging es um die Demonstration, zu den Siegern zu gehören. Unübertroffen war die Konkurrenz der Klotzereien in der Stadt Soroca im Norden der Republik Moldau. Kein Ort der Welt demonstrierte entwaffnender, dass die Zigeuner mit dem linksautonomen Schlachtruf »Friede den Hütten, Krieg den Palästen« absolut nichts anfangen können. Wer hier in friedlicher Koexistenz im Schatten monumentaler Paläste lebte, war nicht etwa von Neid zerfressen, sondern zollte jenen Patrons Achtung und Respekt, die mit einträglichen Geschäften, vorzugsweise in den russischen Metropolen, den Aufstieg in die Kaste der Neureichen geschafft hatten. Dass Dutzende von Klimbim-Schlössern, darunter ein beeindruckend kitschiger Nachbau des Kapitols in Washington, vor ihrer Fertigstellung schon wieder in das Stadium der Verwahrlosung übergingen, stand freilich auf einem anderen Blatt.
Jedenfalls hatte ich mir die Residenz Florin Cioabăs anders vorgestellt. Ein repräsentatives Domizil hatte ich bei dem obersten aller Bulibaschen, der sich über Rumäniens Grenzen hinaus als »International Romany King« verstand, schon erwartet. Das jedoch entpuppte sich als zwar großzügig bemessenes, aber unscheinbares und staubgraues Anwesen an einer vielbefahrenen Durchgangsstraße. Da die elektrische Schelle nicht funktionierte, versuchten wir uns durch Rufen und Klatschen am Tor bemerkbar zu machen. Vergeblich. Lucian drückte die Klinke, einmal, zweimal, dann hielt er den Türgriff in der Hand. Schließlich riefen wir den König per Telefon an. Nach endlosem Klingeln trat uns Florin Cioabă im Hof entgegen. Er hatte unseren Termin anscheinend vergessen und wirkte verschlafen. Er entschuldigte seine Verspätung mit wichtigen Verpflichtungen und bat uns, in seinem Thronzimmer auf ihn zu warten.
Es war ein kleiner Salon, der so aussah, wie man sich den Audienzsaal eines Königs vorstellt, wenn man noch nie einem König begegnet ist: mit Kristalllüstern, vergoldeten Barockstuhlimitaten und an den Wänden die Ahnenporträts in Holzrahmen und Ölfarbe. In diesem Fall der noch jungen Dynastie bestand die Galerie der Vorfahren allerdings lediglich aus einer Person. Ich erkannte Florins Vater Ioan auf den Bildnissen wieder. 1991 hatte ich ihn in Sibiu besucht, in einem Jahr des Aufbruchs und des Übergangs. Der Metall- und Schrottgroßhändler Ioan Cioabă hatte damals bereits die Partidul Nomazi si Caldarari din Romania, die Partei der Roma-Nomaden und der Kesselschmiede gegründet, hatte sich jedoch noch nicht zum Internationalen Roma-König inthronisieren lassen, wozu er sich 1992 eine schwere Goldkrone mit Edelsteinen samt Amtskette und Zepter fabrizieren ließ. Seinerzeit machte er in Deutschland von sich reden, als ein Strom rumänischer Roma in die Bundesrepublik einreiste und politisches Asyl ersuchte. Da für sie keine Chance auf Anerkennung als verfolgte Flüchtlinge bestand, forderte Cioabă von der Bonner Regierung über 3,5 Milliarden Mark als Wiedergutmachung für den Holocaust, ansonsten würden über eine Millionen seiner Anhänger als Asylbewerber Deutschland überschwemmen. Bekanntlich blieb es bei der Drohgebärde. Als Oberhaupt der Kalderasch-Zigeuner hatte mir Ioan Cioabă damals ein belangloses Interview und ein Foto vor seinem Benz gewährt. Als Gegenleistung musste ich ihm für zwanzig Mark eine
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