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Zigeuner

Zigeuner

Titel: Zigeuner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bauerdick Rolf
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viele sozial-pastorale Zentren er für seine Roma-Gemeinden in Blaj für einen Maybach würde bauen können, schaute er mich ungläubig an und schüttelte den Kopf: »No Rolf, you are crazy.«
    Lucian Mosneag ist ein Menschenfreund. In erster Linie. Danach ist er Vater und Ehemann, dann Rumäne und griechisch-katholischer Priester in der transsilvanischen Kleinstadt Blaj. Lucian kann schlecht nein sagen, begeistert sich für die Filme Emir Kusturicas und liebt die Zigeuner. Auch wenn sie ihm bisweilen ziemlich auf die Nerven gehen, nicht nur weil sie ihm als Mann Gottes ständig die Hand küssen wollen. »Glaub mir, manchmal treiben sie mich an den Rand der Verzweiflung.« Lucian sagt solche Sätze ständig, selten grundlos und fast immer in Verbindung mit seiner englischen Lieblingsvokabel »crazy«.
    Tagtäglich bewährt sich Lucian als Sisyphus. Nur dass er keine Felsbrocken den Berg hinaufschleppt. Der Mittvierziger ist in den Ortsteilen Plopilior, Veza und Barbu Liautiarul als Seelsorger für die Roma verantwortlich. Seine mehr oder weniger wirkungsvollen Waffen sind sein Mitgefühl, das geistliche Wort und die Macht geweihten Wassers. Damit segnet er alles: Kinder, Häuser, Autos, Pferde, Kutschen. Und natürlich auch Verstorbene. Bei Beerdigungen gestattet Lucian um des Seelenfriedens willen den Zigeunern auch Beigaben für die Gräber. Schnaps, Zigaretten und Feuerzeuge, bei denen ausgiebig probiert werden muss, ob sie auch wirklich funktionieren. Jedoch ist Lucian Mosneags Verständnis für magische Rituale nicht grenzenlos. »Wenn ich für jemanden Spielkarten weihen soll, damit er beim Pokern gewinnt, das lehne ich selbstverständlich ab.«
    Wo jahrelang inmitten einer Dauerbaustelle ein nackter Backsteinbau in den Himmel ragte, leuchtet heute der Turm der Heilig-Kreuz-Kirche, frisch verputzt, gelb getüncht und sonntags gut besucht. Lucians Gotteshaus haftet jedoch ein Makel an, eine sakrale Dysfunktion durchaus symbolträchtiger Art. Vor der Kirche lagern zwei Glocken, eingepackt in Plastikfolie. Eine trägt die Prägung »Sankt Michael, du Gottesbote, beschütze Kirche, Volk und Tote. Bockem am Harz, 1949.« Eine befreundete Kirchengemeinde aus Deutschland hat Lucian die Glocken geschenkt, doch mit ihrem Durchmesser von 1,20 Meter sind sie zu groß. Oder anders betrachtet: der Kirchturm ist zu schmal. Die Glocken können nicht schwingen.
    Die Heilig-Kreuz-Kirche liegt im Zentrum der Roma-Siedlung Plopilior und teilt die Gemeinde in zwei Hälften. Rechts die Armen, links die Reichen, dazwischen die Grauzone derer, die sich beim alltäglichen Überlebenskampf einigermaßen über die Runden retten. Die Menschen zur Rechten, die Mehrheit, finden keine Jobs. Und sie haben wohl auch aufgegeben zu suchen. Sie hocken vor ihren Lehmhütten und warten auf irgendwas, was eventuell irgendwann eintritt, während ihre Kinder neben einem leeren Abfallcontainer im Unrat spielen. Hier sagt der zwölfjährige Petru: »Für die Schule habe ich keine Zeit, weil ich mich um das Essen kümmern muss.« Abends versteht man, was der Junge meint. Den halben Tag hat er an dem vermüllten Ufer des Flusses Kokel gestanden und geangelt. Vier mickrige Fische brutzeln in einer Blechpfanne auf einem rostigen Ofen. Die Abendmahlzeit für eine Familie mit sechs Kindern und ebenso vielen Katzen.
    Links wird gemauert, geschraubt, gebohrt und gehämmert. Schmucke Häuser werden hochgezogen, Dachstühle errichtet und Zufahrten gepflastert. An Sonntagen polieren einige Männer mit Putztüchern ihre neuen Gebrauchtwagen. Demonstrativ bekunden sie, wie Gewinner aussehen. Nur wenige von ihnen gehen einer produktiven Arbeit nach, dafür sind sie die Meister der Umverteilung gesellschaftlichen Reichtums. Ihr Beruf: Bettler. Seit Rumänien in der Europäischen Union ist, schicken die Sippen ihre Familienangehörigen mit Kindern und Behinderten nach Frankreich, Italien oder Spanien. Die Familien aus Plopilior favorisieren den französischen Süden, Marseille, Toulouse oder Montpellier. »Einige werden mit den Euros, die sie vor Kirchen und Bahnhöfen erbetteln, hier zu kleinen Königen«, erklärt Lucian. Das neureiche Gehabe hat Folgen. Lucian ärgert sich, dass der Mammon die Gemeinde vom Heiligen Kreuz spaltet, dass die Anpassungsschlauen auf Ehr- und Redlichkeit pfeifen und den Habenichtsen den blanken Hintern zeigen.
    Für viele Familien fällt der soziale Aufstieg in die Königskaste indes recht bescheiden aus: mit der Anschaffung eines

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