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Zigeuner

Zigeuner

Titel: Zigeuner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bauerdick Rolf
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mit, dass »der Fluch des Diebeshandwerks« darin besteht, dass »man nicht so viel tragen kann, wie man gern möchte, zumal wenn reichlich vorhanden ist«.
    Dennoch, bei aller Rohheit und Verruchtheit schwebt über Lakatos’ Romanfiguren eine Sehnsucht, ein fiebriges Verlangen, auszubrechen aus einer Welt des nackten Überlebens, in der »jeder Tag mit der gleichen Aussichtslosigkeit« beginnt. Negus Boncza, der jugendliche, von Lakatos’ eigener Biografie geprägte Ich-Erzähler, ist das einzige Zigeunerkind, dem der Weg zu höherer Schulbildung offensteht. Doch er kommt nicht an in der gymnasialen Welt der Gadsche, die ihn demütigen, während er sich von seinen eigenen Leuten immer mehr entfremdet. Dabei ersehnt Negus nichts anderes, als ein Mensch zu sein. »In mir war nur der Wunsch und der Wille, zu beweisen, dass auch mich eine Mutter geboren hatte und ich das Kind von Menschen war.«
    Der Roman Bitterer Rauch endet in einem frischgekalkten Waggon, in einem Zug, dessen Rattern die Zigeuner im Glauben an ihre Umsiedelung in eine glückliche, hoffnungsvolle Welt der Träume entführt. Nur Negus und die Leser wissen längst, dass der Zug dem Tod entgegenrollt.
    Menyhert Lakatos war ein mutiger und wahrhaftiger Schriftsteller. Er wusste alles vom ziganen Leben, mehr als wir Gadsche je erfahren werden. Seine Zigeuner erdulden Geschichte, gewiss. Aber sie machen sie auch. Bei Lakatos sind die Menschen stets Menschen, keine Opfer. Und sie bleiben Menschen, mit all ihrem Licht und all ihrem Schatten. Gerade weil Lakatos um die dunklen Seiten wusste und davon erzählte, öffnete er uns eine Tür, die hineinführt in eine fremde Welt. Eine haltlose Welt, in der uns der Boden unter den Füßen zu schwinden droht, weil sie das extreme Spektrum des Menschlichen abdeckt. In jedem Wort, in jeder Zeile, die Lakatos schrieb, steckt mehr Liebe zu seinem Volk und zum Leben als in dem ganzen aufgeblasenen Geschwätz der Kaste der Trüffelsucher. In der Umklammerung ihrer pseudohumanen Fürsorge ersticken die Zigeuner zu blassbleichen Geschöpfen. Sie mutieren zu blutleeren Chiffren, die nicht weinen und nicht lachen, nicht leiden und nicht lieben.
    In den Studien der Anti-Antiziganisten finden sich Abertausende Belege für offene und versteckte Rassismen, aber kein einziger Satz, aus dem spricht, dass sie die Zigeuner schätzen. Nicht einmal zwischen den Zeilen. Die zigane Unangepasstheit, die Art gegen den Strich zu denken, die Großherzigkeit, der Humor, die Herzlichkeit, aber auch der Gleichmut, der die Zeit zu stauen vermag. Und nicht zu vergessen, die gewiefte Schlitzohrigkeit. Keine Silbe darüber. Die Technokraten des Common Sense machen ihre Sinti und Roma zu Funktionen ihrer moralischen Arroganz, zu ewigen Opfern eines allgegenwärtigen Ressentiments, das sie allein durchschauen. In ihrem antirassistischen Dünkel entgeht ihnen, dass sie den Zigeunern keine eigene Identität zugestehen, nicht einmal eine Schattenseite. Sie sprechen den Zigeunern ab, was jeder Mensch auf der Welt mit sich herumträgt: eine helle und eine dunkle Seite. Deshalb bleiben ihre in Anführungszeichen gesetzten Zigeuner grau. Sie haben keine Seele.
    Weil die Anti-Antiziganisten die Schattenseite der Roma nicht anschauen wollen, fehlen ihnen auch der Sinn und die Sprache für das Licht. Sucht man bei ihnen nach einem noch so kleinen, unscheinbaren Wort der Sympathie, des Mögens gar, so ergeht es einem wie einst Alexandra mit ihrem »Zigeunerjungen«: »Doch es blieb alles leer.«

KAPITEL 12
    Von Blaj nach Lourdes
    Audienz bei König Florin I. – Ein Palast ohne Prunk und eine Kirche ohne Glocken – Lucian, der Menschenfreund – »S’il vous plaît, madame«: Betteln für Kühlschrank, Couch und Clanboss – Illegale Bankgeschäfte: das Übel der Wucherei – Schlepper und Menschenhändler – Bettler in der Madonnenstadt – Monnaie petit für Tarzans Familie – Die Zerstörung des Mitleids
    Meine Audienz beim König der Roma begann mit einer abgebrochenen Türklinke. Der griechisch-katholische Priester Lucian Mosneag, langjähriger Freund und Begleiter während meiner Rumänienreisen, hatte sich die private Telefonnummer Florin Cioabăs besorgt und mir nach hartnäckigen Anfragen einen Interviewtermin verschafft. Und weil man Könige nicht warten lässt, standen wir an einem strahlenden Maivormittag im Jahr 2009, pünktlich um kurz vor zehn, vor einem unansehnlichen Eisentor im rumänischen Sibiu, dem siebenbürgischen Hermannstadt.

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