Zigeuner
mazedonischen Frauen von einer Romanfigur. Tereina heißt sie. Sie ist Zigeunerin und Mutter eines literarischen Helden namens Arniko. Tereina weiß, dass sie sterben wird, und gibt daher ihrer zukünftigen Schwiegertochter Orka noch einen gutgemeinten Rat:
»Liebe Arniko so sehr, wie ich ihn selbst geliebt habe. Ich weiß, dass er manchmal roh ist. Aber er bedauert es rasch. Vielleicht wird es geschehen, dass er dich schlägt, denn es gibt keinen Rom, der seine Romni nicht schlägt.«
Um solch eine antizigane Ungeheuerlichkeit zu demaskieren, wäre allerdings ein Quäntchen akademische Tollkühnheit erforderlich. Wer will schon dem ersten und wohl auch bedeutendsten Schriftsteller der Roma, dem in Barcelona geborenen Matéo Maximoff, rassistische Zigeunerfeindlichkeit vorwerfen, wenn man alternativ aus gesicherter moralischer Warte Hermann Hesse als Spießbürger outen kann? Längst gilt der 1999 in Paris gestorbene Maximoff unter den Zigeunern als Inbegriff ihres kulturellen Gedächtnisses. Das Zitat Tereinas entstammt seinem wunderschönen poetischen Roman Die Ursitory. So heißen die Schicksalsengel, die in der Erzählung Maximoffs die Lebenswege der Neugeborenen bestimmen und von denen an späterer Stelle noch zu erzählen sein wird. Was Maximoff in den Ursitory an antiziganen Klischees bedient, von Aberglauben und Hexerei, Intrige und Niedertracht über feige Schurken und edelmütige Helden bis hin zu lichtem Wahn und düsterer Wahrsagerei, dürfte in der Antiziganismusforschung durchaus für ein Dutzend Doktorarbeiten reichen.
Lange sah es so aus, als habe die Aura der Unantastbarkeit Johann Wolfgang Goethe davor bewahrt, in den Mühlen der Antiziganismuskritiker geschreddert zu werden. Goethe spielte, um in der aufgeplusterten Terminologie zu bleiben, im »rassistischen Kartell« eine unbeachtete Rolle. Erst in den letzten Jahren, im Zuge einer sensibilisierten Wahrnehmung, stellte sich heraus, dass der Götz von Berlichingen ein Paradebeispiel für »antiziganistische Exklusionsrituale«, »rassistische Dehumanisierung« und »bürgerliche Eliminierungswut« liefert.
Die Szene »Nacht. Im Wilden Wald. Zigeunerlager« im fünften Akt des Dramas eröffnet der Auftritt eines Knaben, der von der Jagd zu seinen Leuten zurückkehrt, wobei es zu dem kleinen Dialog kommt:
»Knab: Ein Hamster, Mutter. Da! Zwei Feldmäus.
Mutter: Will sie dir abziehen und braten, und sollst eine Kapp haben von den Fellchen. – Du blutst?
Knab: Hamster hat mich bissen.«
In einer Lagerszene aus dem Ur-Götz, die aus der Endfassung des Dramas gestrichen wurde, nimmt der Zigeunerhauptmann der verängstigten Adelheid von Walldorf die Furcht vor seinem »armen Völklein« mit den beruhigenden Worten:
»Wir tun niemanden Leids, wir säuberns Land vom Ungeziefer, essen Hamster, Wieseln und Feldmäus. Wir wohnen an der Erd, und schlafen auf der Erd, und verlangen nichts von euern Fürsten als den dürren Boden auf eine Nacht, darauf wir geboren sind, nicht sie.« Eine Zigeunerin bietet Adelheid daraufhin eine wärmende Decke an und sagt: »Es friert uns nicht, gingen wir nackend und bloß. Es schauert uns nicht vorm Schneegestöber, wenn die Wölfe heulen und Spenster krächzen, wenns Irrlicht kommt und der feurige Mann. Blanke Mueter, schöne Mueter, sei ruhig, du bist in guter Hand.«
Daraus leitet Wilhelm Solms ab, Goethe stelle die Zigeuner als »Tiermenschen und Unmenschen« dar: »Wie die wilden Tiere schlafen sie auf der nackten Erde und leben von Hamstern und Mäusen. Und weil dies ihrer tierischen Natur entspricht, verlangen sie auch nichts anderes. Sie frieren selbst dann nicht, wenn es schneit und sie nackt sind, haben also keine menschlichen Empfindungen.«
Aber das ist nicht das Zigeunerbild des Johann Wolfgang Goethe. Das Bild entspringt projektiver Deutungswut. Goethe sagt lediglich, dass die Zigeuner auf nackter Erde schlafen. Aber er sagt damit nicht, dies würde einer »tierischen Natur« entsprechen. Goethe sagt, dass die Zigeuner bei Kälte nicht frieren. Aber er sagt nicht, dass sie keine »menschlichen Empfindungen« haben. Goethe lässt die Zigeuner in seinem Drama Mäuse und Hamster essen. Aber »Halb-, Tier- oder Unmenschen« macht erst der literaturkritische Blick aus ihnen. Dieser Blick ist ziemlich germanozentrisch, wenn man so will, zumindest aus der Perspektive unserer Nachbarn, die Froschbeine und Schnecken als Delikatessen verspeisen. Übrigens bot man mir in Mexiko einmal eine rote Suppe voll
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