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Zigeuner

Zigeuner

Titel: Zigeuner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bauerdick Rolf
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weißer Ameiseneier an, in Uganda geröstete Heuschrecken, auf den Philippinen kleine schwarzfaule Fische, deren Gestank einen wirklich umhaute. Bin ich deshalb kein Tiermensch, weil ich höflich sagte: »Nein danke«? Und mache ich Zigeuner zu Unmenschen, wenn ich nicht verschweige, dass für mich die traurigste Stufe der Trostlosigkeit erreicht war, als die Roma auf der Müllkippe im rumänischen Oradea Fleisch von einem Kadaver aßen, bei dem nicht mehr zu erkennen war, ob er einem Pferd oder einer Kuh gehörte?
    Zurück ins literarische Leben. Und das mit einem Text, der Hamster und Mäuse als Leckerbissen erscheinen lässt und selbst abgehärtete Geschmäcker an eine Grenze treibt, an der die Vorstellung von politischer Korrektheit neu definiert wird. In einem Leben, das, so Menyhert Lakatos, »darauf pfiff, was erlaubt oder nicht erlaubt war«.
    Neben Matéo Maximoff und Ronald Lee gilt der wortmächtige Menyhert Lakatos als einer der angesehensten Zigeunerschriftsteller. In ihrem Handbuch Sinti und Roma von A –Z weisen Krausnick und Strauß zwar seitenlang auf jedes antizigane Stereotyp hin, den bedeutenden Schriftstellern Lee, Maximoff und Lakatos jedoch widmen sie außer dem dürftigen Hinweis, sie hätten »mit ihren Büchern ein interessiertes Publikum gefunden«, kein einziges Wort. Nicht ohne Grund. Der studierte Ingenieur und Roma-Politiker Menyhert Lakatos, der 2007 starb, verarbeitet in seinem fulminanten und verstörenden Zigeunerroman Bitterer Rauch seine Kindheitserfahrungen aus den dreißiger und vierziger Jahren des 20. Jahrhunderts. In Bitterer Rauch entblößt jeder, aber auch wirklich jeder Satz, dass die Antiziganismusforscher im Elfenbeinturm ihrer Bibliotheken nicht wissen, wovon sie reden. Allein die Schilderung eines winterlichen »Schlachtfestes« birgt eine solche unerhörte Edelknolle, dass die Trüffelschweine einen weiten Bogen um sie machen, ahnend, dass sie sich an Lakatos ihren Geruchssinn verderben. Der Ungar erzählt von einer Zigeunersiedlung unweit eines gräflichen Anwesens, zu dem auch Stallungen gehörten, in denen Schweine gemästet wurden. Die wiederum sorgten dafür, dass sich das Roma-Dorf hin und wieder in ein »Märchenland« verwandelte.
    »Wenn die Schweinepest wütete, starben sie wie die Fliegen. Die Kadaver wurden jeden Tag hinausgeschafft und in eine Grube geworfen. An sie heranzukommen war nicht leicht. Sie wurde Tag und Nacht von einem Mann mit einem Gewehr bewacht. Aber wenn es kalt war, zog sich der Wächter in seine Hütte zurück und schlief den Schlaf des Gerechten. Dann schlichen die Zigeuner wie ein Rudel Wölfe an die Grube heran und scharrten mit den Händen die gefrorene Erde weg. Sechs bis acht Kilometer weit schleppten sie die Schweinekadaver auf ihren Schultern nach Hause. Das Schlachtfest fand noch in derselben Nacht statt, und alle, die aus irgendeinem Grund an dem nächtlichen Beutezug nicht hatten teilnehmen können, erhielten etwas ab. Das war so Sitte. Die ganze Siedlung duftete dann nach gebratenem und gekochtem Fleisch. Die Menschen lächelten zufrieden und entschlossen sich, sogar Wurst zu machen.« Wie das wiederum vonstattenging, soll mit Rücksicht auf empfindsame Gemüter verschwiegen werden.
    Bitterer Rauch ist ein unglaubliches Buch, ein gellender Schrei, ein Messerhieb, brutal und schmerzend, gnadenlos und hart. Zugleich aber auch ein Seufzer, poetisch, leise und zart. Da wird geweint und gelacht, geflucht und gelogen, betrogen und gestohlen, gesoffen, gekotzt und gestöhnt, geliebt und gehasst, geprügelt und gefickt. Letzteres immer und überall, in geiler animalischer Gier, in allen erdenklichen Varianten. Wir lesen von wüsten abendlichen »Paarungen im Ochsenstall«, wo man nur danach tastete, »wer lange und wer kurze Haare hatte«; hören von wollüstigen Mädchen, die in ihrer »Mannstollheit kein Maß fanden«; staunen über die erotischen Eskapaden der »zahnlosen Zsuzsa« und der »Knoblauchfotze Icuka« und erfahren von gebärfreudigen Frauen, unter denen »die Bälger weggezogen werden wie Ferkel«. Dazwischen Flöhe, Läuse, Krätze, Tripper, Dreck, Gestank und faules Fleisch und wahrhaft Unerhörtes in kaum erträglichem Übermaß. Und wir lernen. Wir lesen, wie die Zigeuner abgehalfterten Schindmähren die Zähne herunterfeilen, um sie als junge Gäule zu verscherbeln. Wir haben teil an Überlegungen, wie man Münzen präpariert, um beim Glücksspiel stets mit Krone oben zu gewinnen, und nehmen als Lebensregel

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