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Zigeuner

Zigeuner

Titel: Zigeuner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bauerdick Rolf
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Video-Kassette mit folkloristischen Zigeunertänzen abkaufen, die ich mir jedoch nie angeschaut habe, weil ich keinen Rekorder besaß. Nun hing der alte Cioabă in Ölgemälden an der Wand, mal als gesetzter Familienpatriarch mit staatsmännischer Attitüde, mal in geradezu bizarrer Albernheit. Ein Hofmaler hatte ihn verewigt, in der Pose des erhabenen Monarchen, mit bekröntem Haupt auf einem schnaubenden Ross, von Jagdhunden umbellt und umhüllt mit dem weiten Umhang des Malteserordens, leuchtend weiß mit rotem achtspitzigen Kreuz. Lucian steckte mir, die rumänischen Malteser hätten sich früher aufgeregt, weil König Ioan sich bei öffentlichen Auftritten regelmäßig mit ihren Insignien schmückte. Heute besteht zu solcher Empörung kein Grund mehr. Als Ioan Cioabă 1997 an Herzversagen starb, übernahm sein Sohn das royale Amt. Und mit Florin I., Jahrgang 1954, reifte die Einsicht, dass allzu viel kostümierter Mummenschanz sich als kontraproduktiv erweist, wenn man als Roma-Bürgerrechtler ernst genommen werden will.
    Zu unserem Gespräch tauchte Florin Cioabă erst nach einer gefühlten Ewigkeit wieder auf, frisch rasiert, mit Anzug, Krawatte und in Hausschlappen. Er nahm Platz auf seinem Thronsessel, flankiert von der rumänischen Nationalfahne und der internationalen Fahne der Roma, einem roten Speichenrad auf blau-grün geteiltem Grund, der Himmel und Erde symbolisiert. Obschon König Florin ein wenig teilnahmslos wirkte, ein Eindruck, den er zuvor auch bei anderen Journalisten hinterlassen hatte, so gab er als routinierter Repräsentant der Kalderasch-Zigeuner dennoch ausgewogene Statements von sich, die jedermann zweifelsfrei unterschreiben konnte:
    Dass über 250 Roma-Organisationen in Rumänien zwar ein Zeichen politischer Freiheit seien, die Fülle der Verbände sein Volk jedoch nicht einige, sondern zersplittere. Dass viele Zigeuner für ihre soziale Misere selber verantwortlich seien, weil sie nie gelernt hätten zu arbeiten, es zugleich aber diskriminierend sei, wenn bei Jobangeboten in Zeitungsanzeigen von vornherein vermerkt würde: »Keine Roma«. Dass die wirtschaftliche Not die Roma nach Italien, Frankreich, Spanien oder nach Deutschland treibe, andererseits organisierte Bettelnetzwerke und Diebesbanden in Westeuropa dem Image der Zigeuner enormen Schaden zufügten, zumal die westliche Presse, besonders in Italien, eine mediale Hysterie gegen die Roma schüre und europäische Neofaschisten zum Rassenhass aufstachelten. Gewiss sei nicht zu leugnen, dass der Metalldiebstahl in Rumänien ausgeufert sei und organisierte Kriminelle neben Kupferdächern, Bronzestatuen sogar Eisenbahnschienen stehlen würden, nur seien die Täter eben nicht nur Roma.
    Zugleich monierte Cioabă selbstkritisch, unter den rumänischen Zigeunern herrsche noch immer ein Kastenwesen. »Wie in Indien«, wobei die Unsitte, seinen Reichtum zur Schau zu stellen und mit Palästen zu prunken, die Solidarität mit den armen Roma verhindere. Den fehlenden Sinn für das Gemeinwohl erklärte er als Konsequenz von Liberalismus und Kapitalismus. »Wie in den USA«, wo die Slums der Armen ebenfalls von den Villenvierteln der Reichen getrennt seien. »Wie Wallstreet und Bronx.« Cioabă schätzte, dass zwanzig Jahre nach der Revolution viele Zigeuner unter schlechteren Verhältnissen lebten als unter Ceauşescu und dass heute bestenfalls zehn, maximal zwanzig Prozent der Roma als vollwertige Bürger in die rumänische Gesellschaft eingegliedert seien. Und warum nicht mehr? »Die Europäische Union gibt uns zwar Geld für Integrationsmaßnahmen. Aber viel zu wenig.«
    Zum Abschied bat ich Florin Cioabă um ein Fotoporträt. Gemeinsam überlegten wir eine passende Location für ein aussagekräftiges Bild. Jeder Ort war König Florin recht. Vor dem Bildnis seines Vaters, neben der Staatsfahne, auf dem Thronsessel. Nur ein Foto vor dem Auto im Hof hielt er für keine gute Idee. Dort parkte eine der luxuriösesten Limousinen, die man für Geld kaufen kann: ein neuer dunkelblauer Maybach. Für den Gegenwert solch eines Autos musste ein rumänischer Durchschnittsverdiener im Jahr 2010 fünfzig, vielleicht auch sechzig Jahre lang arbeiten. Und der gute Stelian Coseriar, einer der letzten überlebenden Bleikocher aus den Giftküchen von Copşa Mică, müsste auf Kuttelsuppe und Medikamente verzichten und jeden Lei seiner Rente beiseitelegen, etwa einhundertundsechsundsechzig Jahre lang. Als ich Lucian über den Daumen gepeilt vorrechnete, wie

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