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Zikadenkönigin

Zikadenkönigin

Titel: Zikadenkönigin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
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und nach einigen Sekunden zuckte Yoshitoshi verärgert mit den Schultern. »Eigentlich fühle ich mich hier recht wohl. Es ist still im Haus, und niemand stört mich. Außerdem wird keine hohe Miete verlangt.«
    »Fürchten Sie keine Rache des Dämonen?« fragte Onogawa.
    »Oh, irgendwie komme ich mit dem Ungeheuer klar«, sagte Yoshitoshi. »In gewisser Weise respektieren wir uns. Wie gute Nachbarn.«
    »Oh«, machte Encho. Er räusperte sich. »Nun, äh, wir machen uns jetzt besser auf den Weg, Taiso. Vielen Dank für den Borubuna.« Rasch traten Onogawa und er in ihre ledernen Schuhe. »Ich wünsche dir weiterhin frohes Schaffen, Kumpel – und laß dir von deinen politischen Freunden keine Flausen in den Kopf setzen. Ehrlich gesagt: Ich finde ihre Ideen ein wenig verschroben. Und ich bezweifle, ob die Regierung etwas auf derartiges Gerede gibt.«
    »Irgendwann wird sie auf uns hören müssen«, erwiderte Yoshitoshi überzeugt.
    »Laß uns gehen«, sagte Onogawa und bedachte Yoshitoshi mit einem skeptischen Blick, bevor er sich umwandte und an der Seite Enchos auf die Straße zurückkehrte.
    Immer wieder hob Onogawa den Kopf und beobachtete argwöhnisch die Telegrafendrähte. Er wartete, bis sie außer Hörweite waren. »Dein Freund ist wirklich seltsam«, wandte er sich dann an den Komiker. Er seufzte. »Was für eine Nacht!«
    Encho runzelte die Stirn. »Mit seinen neuen Bildern bringt er sich bloß in Schwierigkeiten. Weißt du: Irgendwann trifft der Hammer den herausstehenden Nagel.« Sie wanderten durch den hellen Schein der Gaslampen, und inzwischen waren in Ginza nur noch wenige Nachtschwärmer unterwegs.
    »Sagtest du nicht, du kennst einige Mädchen mit einem Klavier?« fragte Onogawa.
    »Oh, sicher!« erwiderte Encho. Er pfiff laut und winkte eine Rikscha herbei. »Mit einem Klavier. Ein komisches Ding, das sehr sonderbare Geräusche erzeugt. Eine echte Abwechslung, wenn man an die üblichen Samisen der Geishas gewöhnt ist. Jene hellen und klimpernden und dauernd so traurig klingenden Töne kann ich einfach nicht mehr hören. Ständig spielen sie ›Oh, wie kläglich ist das Schicksal einer Kurtisane!‹ und ›Laß uns gemeinsam in den Tod gehen, auf daß unsere Liebe ewig währt!‹ Wer interessiert sich noch für solche Lieder? Niemand, sage ich dir. Wart nur ab, bis die Mädchen auf ihrem neuen Apparat einen ›Waltser‹ für uns spielen …«
    Eisenräder knirschten über harten Stein, und kleine Glocken läuteten melodisch, als die Rikscha anhielt. »Wohin geht's, ihr Herren?«
    »Nach Akasuka«, sagte Encho und stieg ein.
    »Es ist bereits spät«, sagte Onogawa langsam. »Vielleicht macht sich meine Frau bereits Sorgen.«
    »Komm schon!« sagte Encho und rollte mit den Augen. »Leb dich aus! Schließlich geht es nicht darum, deine Frau mit einigen billigen Huren zu betrügen. Ich mache dich mit einigen modernen und sehr gebildeten Mädchen vertraut. Dir steht eine neue kulturelle Erfahrung bevor.«
    »Na gut«, fügte sich Onogawa. »Wenn es sich um Kultur handelt …«
    »Bestimmt wirst du eine Menge lernen«, versprach ihm Encho.
    Doch sie hatten erst einige hundert Meter zurückgelegt, als sie plötzlich, weit im Süden, den lauten Klang von Alarmglocken vernahmen.
    »Ein Feuer!« entfuhr es Encho begeistert. »He, ihr Läufer, wir haben es uns anders überlegt! Fünfzig Sen für euch, wenn wir den Ort des Brandes erreichen, solange sich das Feuer noch ausbreitet!«
    Die Läufer verharrten kurz, machten kehrt und stürmten erneut los. Die Rikscha donnerte über das steinerne Pflaster, und die beiden darin sitzenden Männer mußten sich festhalten, um nicht den Halt zu verlieren. »Großartig!« sagte Onogawa und grinste. »Ich freue mich, daß ich deine Bekanntschaft gemacht habe, Encho. In deiner Gesellschaft erlebt man dauernd aufregende Dinge!«
    »Das ist das moderne Leben!« rief Encho. »Ein Abenteuer nach dem anderen!«
    Sie sausten durch die dunklen Straßen und Gassen, und schließlich erreichten sie einen Ort, über dem der Himmel selbst in Flammen zu stehen schien. In der Nähe der Eisenbahnstrecke von Shinagawa hatte sich bereits eine große Menge eingefunden. Größtenteils handelte es sich um Bewohner der Unteren Stadt, und einige von ihnen waren halbnackt. Encho und Onogawa befanden sich nun in der Nähe des Shiba-Distrikts, in einem Arbeiterviertel. Das Feuer fand reichlich Nahrung, sprang von einem strohgedeckten Dach zum anderen.
    Die beiden Männer sprangen aus der

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