Zikadenkönigin
Schritte und hielt die Pfeife wie einen Knüppel. »Laß das!« sagte Encho und näherte sich seinem Gefährten. »Sei doch vernünftig! Ich kenne einige hübsche Mädchen in Asakusa. Sie haben ein Klavier und …« Er streckte die Hand aus.
Onogawa schob ihn beiseite. »Mir reicht's jetzt!« verkündete er. »Wenn ich in Wallung gerate, verwandle ich mich in einen Berserker! Runter mit den Drähten, bevor sie uns weitere Dämonen schicken – das ist mein Motto! Sonno joi!«
Er stürmte in Richtung des offenen Fensters. Doch bevor er es erreichen konnten, zischte etwas, und Dampf wallte, wie der Odem einer Lokomotive. Onogawas Herausforderungen hatten den Dämon offenbar erzürnt, und er verlor die Geduld und kam aus dem Kabel heraus. Die Wesenheit wogte durch das Fenster herein – ein graues dunstiges Etwas. In dem deformen Schädel glühten große und wütend funkelnde Augen. Das Geschöpf gab ein weithin hallendes Dampfpfeifenschrillen von sich und ging zum Angriff über.
Die drei Männer schrien entsetzt auf. Das arm- und beinlose Ungeheuer – wie eine graue Wolke an einer Leine – starrte sie aus seinen gläsernen Laternenaugen an und mahlte mit stählernen Zähnen. Funken stoben im weit aufgerissenen Rachen. Es pfiff erneut und schnappte jäh nach Onogawa.
Im Grunde seines Wesens war Onogawa noch immer ein Schwertkämpfer, und seine Reflexe reagierten sofort. Er wankte nur ganz leicht, als er zur Seite auswich, gleichzeitig mit seiner großen Pfeife ausholte und dem Monstrum einen kräftigen Hieb versetzte. Es krachte scheppernd – so als habe Onogawa nicht etwa den Kopf des Dämonen getroffen, sondern einen Topf aus Eisen. Das Wesen gab ein zischendes und grollendes Fauchen von sich, und heißer Dampf quoll aus seinen Nüstern. Onogawa schlug erneut zu, und die Pfeife hinterließ eine tiefe Beule in dem metallenen Schädel. Das Ungeheuer schien kurz zusammenzuzucken, und gleich darauf richtete es seinen unheilvollen Blick auf die beiden anderen Männer.
Encho und Yoshitoshi flohen rasch hinter ihren Helden. »Erledige es!« rief Encho. Onogawa trat zur Seite, als stählerne Zähne aufblitzten und der Dämon halbherzig versuchte, ihn zu verschlingen. Mit einem weiteren Schlag traf er ein Auge des Monstrums. Glas splitterte. Und der Pfeifenkopf flog davon.
Doch das gräßliche Wesen hatte genug. Mit einem knarrenden Kreischen, das an rostige Zahnräder erinnerte, zog es sich in Richtung der Telegrafendrähte zurück und verschwand in einem Kabel, wie ein Polyp in seinem Schlupfloch. Das Ungeheuer war nicht mehr zu sehen, aber es tanzten weiterhin Funken über den Draht.
»Du hast es gedemütigt!« sagte Encho, und seine Stimme brachte Ehrfurcht und Bewunderung zum Ausdruck. »Erstaunlich!«
»Du hast wohl genug, was?« rief Onogawa aus dem Fenster. »Es ist ja so einfach, hilflose Menschen mit irgendeinem Verderbenszauber zu erschrecken! Aber die Sache sieht völlig anders aus, wenn du es mit einem kaiserlichen Krieger zu tun bekommst! Ha!«
»Was für ein Kampf!« sagte Yoshitoshi, und seine zuvor so blassen Wangen glühten. »Ich widme ihm ein Bild, jawohl. Ein Meisterwerk mit dem Titel! Onogawa demütigt einen Ghoul. Hervorragend!«
Die Funken glitten an dem Kabel entlang, fort vom Fenster. »Das Monstrum macht sich auf und davon!« rief Onogawa. »Folgt mir!«
Er wirbelte um die eigene Achse und verließ das Arbeitszimmer des Druckkünstlers. Auf der Treppe verlor er den Halt, doch noch während er stürzte, rollte er sich zusammen, überschlug sich einmal und landete weiter unten auf den Beinen. Sofort riß er die Tür auf.
Encho folgte ihm dicht auf den Fersen. Sie hatten keine Zeit, die Lederschuhe anzuziehen und zuzuschnüren: Rasch griffen sie nach den Holzpantoffeln Yoshitoshis und seines Lehrlings und eilten nach draußen. Nur wenige Sekunden später standen sie unter den Telegrafendrähten und beobachteten die nach wie vor sprühenden Funken. »Komm herunter, Dämon!« verlangte Onogawa. »Oder bist du zu feige, dich mir zum Kampf zu stellen, du Ausgeburt der Hölle?«
Das Wesen huschte am Kabel hin und her und zischte leise. Weitere Funken leuchteten auf und verblaßten wieder. Das Ungeheuer verhielt sie wie eine Ratte, die in einer Sackgasse festsaß. Und dann sauste es plötzlich los.
»Es flieht nach Süden!« stellte Onogawa fest. »Kommt mit!«
Sie nahmen die Verfolgung auf, wobei Encho ein wenig zurückfiel: Er hatte die Holzschuhe des Lehrlings gewählt, und sie waren ihm
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