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Zikadenkönigin

Zikadenkönigin

Titel: Zikadenkönigin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
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Liberty wird noch weitere Verbreitung finden! Das Komitee der Liberalen Partei hat mir für das nächste Jahr eine Honorarerhöhung versprochen. Und eine eigene Rikscha.«
    »Mir gefielen die alten Bilder«, sagte Onogawa.
    »Das mag sein – aber Sie kaufen sie nicht«, erwiderte Yoshitoshi. »Die modernen Leute wollen wissen, was heute geschieht. Man nehme nur eins der traditionellen Themen – zum Beispiel Yorimitsu, der einem Oger den Arm abhackt. Wenn man so etwas zeichnet, wird man bald zum Hungerleider. Heutzutage haben die Menschen einen anderen Geschmack. Sie wollen Kanonenkugeln sehen, die echte Arme zerfetzen. Ich denke da nur an meine Augenzeugen-Illustrationen der Schlacht von Ueno. Eine Sensation! Nein, meine Herren, heute sind keine Druckkünstler mehr gefragt. Man muß journalistischer Illustrator sein, um Erfolg zu haben.«
    »Leider hast du recht«, lallte Encho. Der Bourbon weckte den philosophischen Aspekt seines Wesens. »Du solltest mal hören, was man über mich sagt. Ich meine die modernen Schreiberlinge von der Universität. Sie schmieren sich Pomade ins Haar und tragen Brillen, weil sie glauben, dadurch sähen sie klüger aus. Und wenn sie ins Theater kommen, klemmen sie sich französische Romane unter den Arm und nehmen alle in der ersten Reihe Platz. Ich gebe die eine oder andere Geschichte zum besten, aber die jungen Leute bleiben ernst, lächeln nicht einmal, zucken mit keiner Wimper. Wenn ich sie anschließend frage, was sie von meinem Auftritt halten, antworten sie: ›Sie schaffen naturalistische Prosa und benutzen dabei eine exzessiv volkstümliche Mundart.‹ Vermutlich sehen sie eine Art Studienobjekt in mir.« Er seufzte und nahm einen Schluck. »Dieses Zeug ist das reinste Gift, Taiso. Ich weiß überhaupt nicht mehr, wo mir der Kopf steht.«
    »Und mir ist schwindelig«, stellte Onogawa fest. Draußen flüsterten die böigen Stimmen eines Herbstwindes. Eine Zeitlang saßen die drei Männer in benommenem Schweigen. Sie waren alle wesentlich betrunkener, als sie bisher geglaubt hatten. Der von den Ausländern stammende Borubona brodelte ihnen wie gärendes Tofu im Magen.
    Und die bernsteinfarbene Flüssigkeit schien auch einige Phantome der Fremden zu enthalten. Es war, als sei das Zimmer selbst betrunken. Draußen raunte der Wind an den Telegrafenleitungen entlang, und seine ächzende Stimme drang durch die geschlossenen Fensterläden – ein dumpfes, geisterhaftes Stöhnen.
    Das Stöhnen wurde lauter, schien zu ihnen in den Raum zu kriechen. Die Wände begannen im Takt des wortlosen Klagens zu knarren. Onogawa sah sich erschrocken um und bekam eine Gänsehaut.
    »Hör auf!« sagte Yoshitoshi scharf. Encho entspannte sein Zwerchfell und lachte leise. »Er will uns Angst einjagen«, stellte Yoshitoshi fest. »Er liebt Gespenstergeschichten.«
    Onogawa sprang auf. »Ein Dämon in den Drähten«, brachte er lallend hervor. »Ich habe sein Stöhnen gehört.« Er zwinkerte, rieb sich die geröteten Wangen und wankte ans Fenster heran. Umständlich hantierte er am Querbalken, achtete nicht auf den lauten Protest Yoshitoshis und klappte die Läden auf.
    Im blassen Mondschein konnte man ganz deutlich die Drähte erkennen, die nur einige wenige Meter entfernt an einem Telegrafenmast befestigt waren. Es schien sich um einen Verteiler zu handeln, und die Enden einiger Kabel hingen wie Eingeweide aus Metall von hölzernen Dübeln. Kühle und frische Luft wehten ins stickige Zimmer und bewegten die an den Wänden hängenden Drucke. »He, Dämon der Fremden!« rief Onogawa. »Laß ehrbare Leute in Ruhe!«
    Yoshitoshi und Encho wechselten einen vielsagenden Blick. »Wir haben zuviel getrunken«, sagte der Komiker. Er stemmte sich unsicher in die Höhe und hatte Mühe, das Gleichgewicht zu wahren. »Laß es gut sein, Onogawa. Wir brauchen jetzt …« Er rülpste. »Frauen. Ja, Frauen wären nicht schlecht.«
    Doch die kalte Luft schien Onogawa erst richtig in Rage zu bringen. »Wir haben dich nicht hergebeten!« grölte er. »Wir brauchen dich nicht! Bevor du kamst, war hier alles in bester Ordnung, Dämon! Du und deine Diener aus der Fremde …« Er drehte sich halb um und starrte die beiden anderen Männer aus blutunterlaufenen Augen an. »Wo ist meine Pfeife? Ich glaube, die verdammten Drähte könnten eine Abreibung gebrauchen.«
    Als er die Pfeife auf dem Boden liegen sah, taumelte er darauf zu und hob sie auf. Einige Male neigte er sich gefährlich weit zur Seite, stolperte, ging einige

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