Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zikadenkönigin

Zikadenkönigin

Titel: Zikadenkönigin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
Vom Netzwerk:
Rikscha, und Encho begann sofort damit, sich mit Hilfe seiner Ellbogen einen Weg durch das Gedränge zu bahnen. Unterdessen bezahlte Onogawa die beiden Läufer. »Aber er sprach von fünfzig Sen«, klagte der ältere von ihnen. Onogawa ballte drohend die Faust, und daraufhin nickten die Läufer hastig und machten sich auf und davon.
    Inzwischen waren bereits die Feuerwehrleute zur Stelle, und sie gingen mit dem für sie typischen eiligen Geschick vor. Sie hatten sich in drei Gruppen aufgeteilt, und wie Ameisen schwärmten sie aus und kletterten in unmittelbarer Nähe der Flammen über die Dächer der Hütten, die noch nicht von dem Brand betroffen waren. Wie üblich versuchten sie gar nicht erst, das Feuer direkt zu bekämpfen. Das wäre in jedem Fall aussichtslos gewesen, denn das trockene Holz, die Papierfenster und Riedvorhänge brannten wie Zunder. Blumen aus strahlender Glut wuchsen in die Höhe.
    Statt dessen machten sich die Männer daran, Schneisen zu schaffen, um den Brand einzudämmen. Immer wieder holten sie mit ihren Hämmern, Äxten und Latten aus und zerstörten alle Hütten, die den Flammen neue Nahrung geben mochten. Ihr Geschick war verständlich, denn immerhin arbeiteten alle Feuerwehrleute Edos auch als Tischler. Bannerträger standen auf den kahlen Firstbalken der einstürzenden Schuppen und hielten die Fahnen ihrer Einsatzgruppe so dicht wie möglich an die Flammen. Dabei ging es um mehr als nur Mut und Kühnheit: Es war ein ausgezeichnetes Geschäft. Sowohl ihr Ruf als auch die Dankbarkeit der Nachbarschaft hingen davon ab, wieviel Tapferkeit und Duchhaltevermögen sie bewiesen.
    Einige der anwesenden Frauen – diejenigen, deren Hütten niedergebrannt waren – schluchzten und zählten ihre Kinder. Doch die meisten anderen freuten sich an dem Anblick, bejubelten die einzelnen Feuerwehrgruppen und schlossen Wetten ab.
    Onogawa machte den seidenen Hut Enchos aus und schloß zu ihm auf. Als Encho den Kopf einzog und sich durch die Menge schob, folgte ihm sein Gefährte. Sie näherten sich der ersten Reihe des Publikums, jener Stelle, an der die Hitze des Feuers und die funkenstiebende Glut eine Art Grenzlinie schufen.
    In der Nähe stand einer der Feuerwehrleute. Er trug einen knielangen, gefütterten und mit rechteckigen Mustern geschmückten Mantel, der ihn vor den Flammen schützen sollte. Der Kopf war halb unter einer dicken Kapuze verborgen, und unförmig wirkende Handschuhe reichten ihm bis zu den Ellbogen. Ein ähnlich gekleideter Lehrling betätigte eine aus Bambus bestehende Pumpe und bespritzte ihn mit einem fingerdicken Wasserstrahl. »Zurück, zurück«, sagte der Feuerwehrmann routinemäßig. Dann sah er auf. »He, bist du nicht Encho, der Komiker? Ich habe dich letzte Woche gesehen.«
    »Das freute mich«, erwiderte Encho geehrt, und er mußte fast schreien, um das Tosen der Flammen zu übertönen. »Zur Abwechslung wohne ich jetzt einem eurer Auftritte bei.«
    Der Feuerwehrmann betrachtete die Jacke Onogawas, auf der sich noch immer einige Ascheflecken zeigten. »Wohnt dein großer Freund hier in der Nähe? Zeig mir sein Haus! Ich verspreche dir, daß wir uns alle Mühe geben, es vor dem Feuer zu schützen.«
    Onogawa machte ein finsteres Gesicht, und Encho erwiderte rasch: »Mein Freund kommt aus dem oberen Viertel! Er ist Bürger der Hohen Stadt!«
    »Oh«, brummte der Feuerwehrmann und rollte mit den Augen.
    Onogawa deutete auf den schindelgedeckten Speicher eines Händlers, einen größeren Schuppen, der ebenfalls von den Flammen bedroht wurde. »Warum unternehmt ihr nichts, um jenes Gebäude zu retten? Es wird nicht mehr lange dauern, bis das Feuer heran ist.«
    »Das Haus gehört dem Kaufmann Shinichi«, erklärte der Mann in dem langen Mantel und runzelte die Stirn. »Im vergangenen Monat haben wir sein Lager im Kanda-Distrikt vor der Zerstörung bewahrt! Und er belohnte uns nur mit fünf Yen.«
    »Das ist wirklich beschämend«, bemerkte Encho und schüttelte den Kopf.
    »In diesem Haus befinden sich Hunderte von Stoffballen«, stellte der Feuerwehrmann zufrieden fest. »Seht nur zu: Bestimmt reichen die Flammen bis zum Himmel empor.«
    »Wie kam es überhaupt zu dem Brand?«
    »Offenbar durch Blitzschlag«, lautete die Antwort. »Irgendeine Art Feuerball sprang von der Telegrafenleitung.«
    »Ach?« machte Encho kleinlaut.
    »Das habe ich jedenfalls gehört.« Der Feuerwehrmann zuckte die Achsel. »Sie wissen ja, wie das so ist. Man erzählt sich die tollsten Dinge. Die

Weitere Kostenlose Bücher