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Zikadenkönigin

Zikadenkönigin

Titel: Zikadenkönigin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
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sah sie an und bedauerte, daß er ihr wegen der Schutzbrille nicht in die Augen schauen konnte. »Also gut«, fing er an. »Sie müssen wissen, daß ich von dem Ringrat den Auftrag habe, ein Experiment durchzuführen, das uns beide das Leben kosten kann.«
    Mirny war einen Augenblick ganz still. »Dann gehören Sie zum Sicherheitsbüro?«
    »Ich bin Hauptmann.«
    »Ich wußte es doch … ich wußte es, als diese beiden Mechanisierer ankamen. Sie waren so höflich und so mißtrauisch – ich glaube, sie hätten mich auf der Stelle umgebracht, wenn sie nicht gehofft hätten, durch Bestechung oder Folter ein Geheimnis aus mir herauszuholen. Sie haben mich zu Tode erschreckt, Hauptmann Afriel … Vor Ihnen fürchte ich mich auch.«
    »Die Welt, in der wir leben, ist nun mal zum Fürchten, Doktor. Es ist eine Angelegenheit der Sicherheit der Partei.«
    »Für Leute Ihres Schlags ist immer alles eine Angelegenheit der Sicherheit der Partei«, sagte sie. »Ich sollte Sie keinen Schritt weiter führen oder Ihnen noch irgend etwas zeigen. Dieses Nest, diese Geschöpfe – sind nicht intelligent, Hauptmann. Sie können nicht denken, sie können nicht lernen. Sie sind völlig unschuldig, so unschuldig wie im Paradies. Sie haben kein Bewußtsein für Gut oder Böse. Sie wissen gar nichts. Unter keinen Umständen sollten sie zu Spielfiguren in einem Machtkampf einer anderen Rasse werden, die Lichtjahre entfernt ist.«
    Der Tunneler hatte durch einen Ausgang die Schwammkammer verlassen und paddelte jetzt langsam durch die Dunkelheit. Eine Gruppe, die wie plattgedrückte, graue Basketbälle aussah, kam ihnen entgegen. Eines dieser Geschöpfe ließ sich auf Afriels Arm nieder und saugte sich mit dünnen, peitschenartigen Fühlern fest. Afriel löste es vorsichtig ab; als es den Arm losgelassen hatte, versprühte es einen Strom rostroter Tröpfchen.
    »Im Prinzip stimme ich ja mit Ihnen überein, Doktor«, sagte Afriel. »Aber denken Sie an die Mechanisierer. Einige ihrer extremen Flügelgruppen sind bereits mehr als zur Hälfte nur noch Maschinen. Erwarten Sie von denen humanitäre Überlegungen? Sie sind kalt, eiskalt, Doktor – kalte und seelenlose Wesen, die einen lebendigen Menschen in Stücke reißen, ohne je Schmerz zu spüren. Die meisten anderen Parteien hassen uns. Sie glauben, daß wir uns als Herrenrasse aufspielen wollen, weil wir uns nicht kreuzen wollen, weil wir die Freiheit der Genmanipulation gewählt haben. Wäre es Ihnen lieber, wenn eine dieser anderen Vereinigungen das täte, was wir tun müssen, und dann die Ergebnisse gegen uns verwendete?«
    »Das ist spitzfindige Propaganda.« Sie schaute weg. Um sie herum schwammen überall Arbeiter, die Kiefer, und Bäuche vollgestopft mit Schwämmen. Sie verteilten sich im Nest, drängten sich an ihnen vorbei und verschwanden in Seitentunneln, die nach allen Richtungen abzweigten, auch nach oben und unten. Afriel sah ein Geschöpf, das wie ein Arbeiter aussah, aber nur sechs Beine hatte; es glitt über ihm in die entgegengesetzte Richtung. Das war ein parasitärer Nachahmer. Er überlegte, wie lange es dauerte, bis ein Wesen es geschafft hatte, so auszusehen.
    »Es ist kein Wunder, daß wir so viele Deserteure in den Ringen haben«, sagte Mirny traurig. »Wenn die Menschheit so idiotisch ist, sich selbst in solche Schwierigkeiten zu bringen, wie sie sie beschrieben haben, ist es besser, nichts mit ihr zu tun zu haben. Dann lebt man besser allein. Dieser Zustand ist erstrebenswerter, als zu helfen, den Irrsinn auch noch zu verbreiten.«
    »Solche Reden kosten uns noch das Leben«, sagte Afriel. »Wir schulden der Partei, die uns hervorgebracht hat, Treue.«
    »Sagen Sie mal ehrlich, Hauptmann«, fragte sie ihn. »Haben Sie nie den brennenden Wunsch verspürt, alles und jeden, alle Pflichten und Zwänge hinter sich zu lassen und irgendwohin zu gehen, um über alles nachzudenken? Über Ihre Welt und welche Rolle Sie darin spielen? Wir werden von Kindheit an so hart herangenommen; man verlangt so viel von uns. Glauben Sie nicht auch, daß man dabei sein Ziel aus den Augen verliert?«
    »Wir leben im All«, antwortete er knapp. »Das All ist nicht unsere natürliche Umgebung. Um hier zu gedeihen, bedarf es unnatürlicher Anstrengungen von unnatürlichen Menschen. Unser Verstand ist unser Werkzeug; Lebensphilosophie ist zweitrangig. Selbstverständlich habe ich auch diesen Drang verspürt, den Sie erwähnt haben. Er gehört eben auch zu den Dingen, vor denen man sich hüten

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