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Zimmer d. Wahrheit - Schatzjäger - Zelluloid

Zimmer d. Wahrheit - Schatzjäger - Zelluloid

Titel: Zimmer d. Wahrheit - Schatzjäger - Zelluloid Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
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selbst im Bild war oder ob er vielleicht die Umgebung einbezog. Aber nur Amateure sahen in die Kamera.
    Es war eine gefährliche Aufnahme. In Lillis Beinen zuckte es jedes Mal, wenn ein Aschestück von ihrem Glimmstängel abbrach und ins trockene Laub fiel. Sie war bereit aufzuspringen, falls ein Feuer entstand. Lilli fragte sich, ob Simon diese Szene tatsächlich in den Film aufnehmen konnte, ohne mit Strafverfolgung rechnen zu müssen. Was sie sich zu tun anschickten, war fast schon Brandstiftung – sie forderten das Schicksal förmlich heraus.
    Steffen legte sich auf den Rücken. Seine Zigarette glomm auf. Simon ging ein paar Schritte zurück. Es war unvermeidlich, dass sie ihn im Auge behielt. Jeden Moment würde er ihnen ein Zeichen geben, ihren Einsatz. Wenn das Zeichen kam, würde sie die Idee haben, ein kleines Feuer zu entzünden, um etwas zu grillen. Zu dritt würden sie einiges von dem Gestrüpp zusammenraffen und mitten in dieser riskanten Umgebung ein Feuer entfachen …
    Lillis Blicke ruckten nach rechts. Dort war eine Bewegung, etwa zwanzig Meter neben Simon.
    Sie musste sehr erschrocken aus der Wäsche schauen, denn der Kameramann reagierte sofort darauf. Das war typisch für Simon. Anstatt unerwartete Ereignisse zu ignorieren oder den Take abzubrechen, bezog er die neue Situation zunächst einmal in den Film ein. Er folgte Lillis Blick und drehte sich in die Richtung der Bewegung.
    Ein kleiner Junge!
    Ein Junge von sechs oder sieben Jahren kam auf sie zugerannt. Er hatte mittelblonde Haare und trug einen blaurot gestreiften Pulli und eine beigefarbene Cordhose. Sein Gesicht war rund und kindlich. In der Hand hielt er eines dieser Flugzeuge aus Styropor, die neuerdings in Mode waren. Fünf Meter vor Simon blieb er stehen, betrachtete kurz den Mann mit dem Super-8-Gerät und sah dann zu den anderen hinüber, die im Unterholz saßen und rauchten. Stimmen waren aus der Nähe zu hören, Stimmen von Erwachsenen. Eine Frau rief: „Schatz?“
    „Mist“, presste Simon hervor und stoppte die Kamera. „Kippen aus“, befahl er gedämpft. „Da kommt jemand.“
    Die drei zerdrückten die Glut mit den Fingern und verbargen die Zigaretten in den geschlossenen Fäusten. Einer nach dem anderen kamen sie heraus.
    Ein Pärchen Mitte Dreißig bog um die Ecke. Die beiden waren überrascht, ihren Sohn in Gesellschaft der langhaarigen jungen Leute zu sehen. Das Kind war offenbar von der schüchternen Sorte, denn es rannte nun zu seinen Eltern zurück. „Grüß Gott“, sagte der Mann.
    Die vier blieben stumm, nickten aber.
    „Da unten war ein Weg“, begann der Mann zögernd. „Ich glaube, wir haben uns verlaufen.“ Er sprach mit deutlichem Dialekt.
    „Wo wollen Sie denn hin?“, fragte Simon.
    „Sind Sie aus der Gegend?“
    „Nein.“
    „Nach … Schloss Falkengrund“, fuhr der Mann irritiert fort. „Aber wenn Sie nicht aus der Gegend sind …“
    „Auf Schloss Falkengrund spukt es ganz fürchterlich“, mischte sich Pö ein, der inzwischen herangekommen war. „Ich würde nicht hingehen, wenn ich Sie wäre.“ Die Mutter des Kindes wurde blass.
    „Wir haben keine Angst vor Gespenstern“, sagte der Mann mit einem spöttischen Lächeln, doch seine Frau griff nach seinem Arm und flüsterte ihm etwas zu. Sie war hübsch – und sehr besorgt. „Bitte!“, flehte der Junge seine Eltern an. „Ich möchte die Gespenster sehen! Bitte! Bitte!“
    Simon sah ihnen eine Weile zu, doch schon nach wenigen Augenblicken wurde ihm die Sache zu langweilig, und er wandte sich ab, die abgeschaltete Kamera gesenkt. „Wir gehen“, entschied er. „Die Szene vergessen wir vorerst mal. Vielleicht drehen versuchen wir’s morgen noch einmal. Oder wir lassen es ganz sein.“
    Der Junge hatte zu weinen begonnen, doch es sah so aus, als sollte die Mutter mit ihren Bedenken die Oberhand gewinnen. Simon kannte den Weg zum Schloss, aber er hatte keine Lust, ihn der fremden Familie zu verraten. Was hatten sie davon, wenn die Leute ihnen dort auf den Zehen herumtraten? So war er ziemlich sicher, dass sie den dreien auf Falkengrund nicht begegnen würden.
    Und er sollte Recht behalten. Die vier würden die einzigen Besucher an diesem Tag sein …

8
    Sie erreichten das Schloss von der Rückseite her.
    Mittlerweile war der Nachmittag fortgeschritten, es ging auf achtzehn Uhr zu. Die Sonne beleuchtete die Figuren und Muster auf der Wand in steilem Winkel und ließ sie ein Gewirr langer Schatten werfen. Was früher einmal ein Park

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