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Zimmer d. Wahrheit - Schatzjäger - Zelluloid

Zimmer d. Wahrheit - Schatzjäger - Zelluloid

Titel: Zimmer d. Wahrheit - Schatzjäger - Zelluloid Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
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und Lilli entgegen, die sich beim Betreten des Schlosses vollkommen anders verhielten. Vorsichtig setzten sie einen Fuß vor den anderen, schienen an der Schwelle von einer unsichtbaren Wand aufgehalten zu werden, reckten ihre Hälse und spähten ins Innere.
    Die Eingangshalle von Schloss Falkengrund lag im Zwielicht. Durch die Südfenster in der Vorderwand fielen ein paar lange, orangerote Strahlen, wie verirrte Geschosse. Zum Westen hin gab es eine Wand mit einer geschlossenen Tür. Kein Licht kam aus dieser Richtung. Die Augen der beiden weiteten sich immer mehr und waren schließlich so groß, dass auch Simon und Pö nicht anders konnten als ihre Umgebung zu betrachten.
    Sie sah kein bisschen so aus, wie sie sich vorgestellt hatten!
    In den Dokumenten hatte gestanden, dass dieses Haus seit Jahrzehnten nicht mehr bewohnt war. Daher hatten sie knöcheltiefen Staub erwartet, unter Spinnweben verborgene Möbel, Schimmel an den Wänden, sich ablösende Tapeten. Und die Tiere des Waldes. Insekten mindestens, aber auch Mäuse. Selbst Vögel. Die Tür hatte einen Spalt offen gestanden, eine Einladung an Füchse und Marder, sich hier einzunisten und den Boden mit ihrem Kot zu besudeln.
    Nichts von all diesen Dingen gab es.
    Der Fußboden war mit einem Teppich in grünlichen Tönen bedeckt. Die Farben waren dunkel, aber frisch, als wäre eben erst jemand mit dem Staubsauger darüber gegangen. Die Wände wiesen edle Tapeten auf, die an das Blattgold von Ikonen erinnerten, und die zahlreichen Bilder zeigten hauptsächlich Personen – Familienangehörige vermutlich – in kräftigen, leuchtenden Ölfarben. In dem schweren Lüster, der von der Decke hing, war kein einziger Spinnenfaden zu erkennen. Simon fuhr mit der Hand über den langen Tisch, der von der Kaminnische her in den Raum hineinragte. Auch hier kein Staubkorn. Ungläubig betrachtete er seine Hand.
    „Das musst du filmen“, sagte Pö. „Das ist Wahnsinn.“
    Aber Simon hob die Kamera nicht. Irgendetwas hielt ihn davon ab, die Szene auf Zelluloid zu bannen. Er stand sehr still neben dem Tisch, atmete flach und bewegte sich nicht. Steffen und Lilli warteten noch immer in der Tür und schienen sich nicht überwinden zu können, das Gebäude zu betreten.
    „Hier wohnt jemand“, flüsterte Lilli. „Simon, deine Recherchen waren wohl nicht ganz …“
    Simons Mund zuckte. Er atmete tief ein, dann brüllte er mit durchdringender Stimme, die unangenehm in dem großen Raum widerhallte: „Hallo! Ist jemand zu Hause?“
    Keine Antwort. „Man müsste Geräusche hören“, warf Pö ein. „Hier ist niemand. Es gibt auch keine Spuren, dass sich hier vor kurzem noch jemand aufgehalten hat.“
    Der offene Kamin war sauber ausgekehrt, und daneben gab es einen Stapel handlicher kleiner Holzscheite. Auf dem Tisch standen zwei Kerzenständer, an jedem Ende einer. Pö hatte recht. Das Haus war eingerichtet und peinlich sauber, aber es war nicht bewohnt.
    „Das verstehe ich nicht“, meinte Steffen und wagte endlich den Schritt über die Schwelle. Als er in der Halle stand, schien er sich etwas wohler zu fühlen. Er strich über die Wände, fasste die Rahmen der Bilder an und schien erleichtert zu sein, dass sie sich nicht in Nebelschwaden auflösten.
    „Es gibt eine natürliche Erklärung“, sagte Simon.
    „Und die wäre?“ Steffen hatte den Kamin erreicht, nahm den gusseisernen Schürhaken von der Wand und wog ihn in der Hand. Er war blitzblank.
    „Die Leute glauben, dass es hier spukt, nicht wahr?“ Simon ging zwei Stufen auf der linken der beiden großen Treppen nach oben und legte seine Hand auf den hölzernen Knauf am Ende des Geländers. „Sie fürchten das Gespenst von Falkengrund wie eine Gottheit. Sie kommen regelmäßig her und machen das Schloss sauber, wie die Gläubigen einen Tempel reinigen.“
    „Aber … haben die Leute denn keine Angst, das Haus zu betreten?“
    „Sie kommen natürlich tagsüber, wenn die Sonne scheint.“
    Inzwischen hatte es auch Lilli nicht mehr länger im Türrahmen ausgehalten. Im Gegensatz zu den Männern fasste sie nichts an, sondern stellte sich genau in die Mitte des Raumes, wo sie den größtmöglichen Abstand zu all den Dingen hielt. Es war offensichtlich, dass sie sich vor den Einrichtungsgegenständen, den Bildern und selbst vor den Wänden fürchtete. Doch dort, wo sie jetzt stand, befand sie sich genau unter dem monumentalen Kristalllüster …
    „Und was ist, wenn das alles nicht … real ist?“, fragte sie

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