Zimmer Nr. 10
Warum?«
»Geht es ihr besser?«
»Ich wusste nicht, dass es ihr nicht gut ging.«
Angela schwieg.
»Fehlt ihr was?«, hakte Winter nach.
»Ihr war wieder schwindlig.«
»Was kann das sein?«
»Ich weiß es nicht, Erik. Wir haben ja schon darüber gesprochen. Sie braucht Ruhe. Und sie sollte sich mal gründlich durchchecken lassen.«
»Was in erster Linie?«
Den Körper, beantwortete er die Frage selbst. Den Sitz der Gedanken. Ja. Notwendig nach bald fünfzig Jahren intensiven Alkohol- und Nikotingenusses. Wenn ich so weitermache, trete ich noch in die Fußstapfen meiner Mutter.
»Wir fahren zusammen runter«, sagte er. »Das weißt du ja.«
Angela legte sich ein Stückchen Fisch auf. Sie warf ihm nur einen raschen Blick zu.
»Denk mal an das kleine Lokal beim alten Fußballplatz.«
Winter schenkte ihr Wein nach. »Die beiden Tische auf dem Trottoir.«
»Bist du jetzt in Marbella?«
»Klar, beim gegrillten Paprikasalat, den Knoblauchkrabben. Das waren keine gewöhnlichen Knoblauchkrabben.«
»Meinst du das Lokal, in dem wir mal nach Mitternacht waren?«
»Ja.«
»Mmm.«
»So kann man es auch zusammenfassen.« Er lächelte. »Der Koch hat noch mal das Feuer angefacht. Er hatte noch ein paar Barsche auf dem Eis.«
»War es nicht der Kellner?«
»Die helfen sich doch gegenseitig.«
»Das Gesicht des Kellners sah aus wie das eines Schornsteinfegers, als er den Fisch brachte.« Angela lächelte.
Winters Handy klingelte.
»Ja?«
»Wir sind jetzt im Präsidium«, sagte Halders. »Du könntest langsam kommen.«
Sie überquerte die Straße, ohne auf den Verkehr zu achten. Plötzlich hupte es neben ihr, so nah, als hupte es in ihrem Ohr. Und doch war es nicht besonders laut, eher so, als hätte sie das Geräusch erwartet.
Sie begegnete einer jungen Frau, die einen Kinderwagen schob. Es wirkte ganz einfach, als wäre der Wagen gewichtslos.
Sie ging am Eingang vorbei und bog um die Ecke.
Die Nebentür in der Seitengasse war offen, wie er gesagt hatte. Es war eine alte Eisentür, die sich nur schwer öffnen ließ und schwer wieder hinter ihr zufiel.
Sie stieg die Treppen hinauf, vier Treppen. An den Wänden entlang, unter der Decke pfiff es, als wäre ihr der starke Wind mit hineingefolgt.
Sie sah die Türöffnung.
Sie sah eine Bewegung. Eine Gestalt tauchte auf.
»DU bist das?!«, entfuhr es ihr.
Sie hörte, wie die Tür hinter ihr geschlossen wurde. Das Pfeifen des Windes brach jäh ab.
»DU warst das?«, sagte sie und drehte sich um. In dem Moment spürte sie eine Hand in ihrem Nacken.
21
Sie beendeten das Essen. Einen Nachtisch wollten sie sowieso nicht. Winter trank den Espresso, während er zahlte.
»Halders ruft nicht unnötig an«, sagte er draußen.
Angela nickte.
»Bleibst du die ganze Nacht weg?«, fragte sie.
»Wenn ja, dann ist morgen vielleicht alles vorbei.«
»Glaubst du, dieser junge Mann legt ein Geständnis ab?«
»Halders hätte ihn nicht ohne triftigen Grund mit aufs Präsidium genommen.«
»Vielleicht ist er nur nervös.« Sie sah ihn an. »Wird nicht jeder nervös, wenn Halders ihm Fragen stellt?«
»Jetzt stelle ich die Fragen«, sagte Winter.
Halders hatte einen Wagen geschickt, der Angela am Vasaplatsen absetzte.
»Dann also gute Nacht«, sagte sie beim Aussteigen.
»In einer Stunde melde ich mich«, sagte Winter.
»Ruf mich auf dem Handy an«, sagte sie. »Elsa schläft so schwer wieder ein, wenn sie wach wird.«
Sie würde den Ton abstellen. Wenn er anrief, würde es vielleicht schon hell werden im Zimmer. Sie konnte solange lesen, vielleicht etwas über Tropenmedizin. Nein. Marbella liegt nicht in den Tropen, hatte sie vorhin im Restaurant gesagt. Aber bald, hatte er geantwortet und in den nordischen Abend hinausgeschaut, überall auf der Erde wird es wärmer. Nur hier nicht, bei uns im Norden nicht. Weißt du übrigens, was Malaria bedeutet? Schlechte Luft, hatte er die Frage selbst beantwortet, ehe sie den Mund öffnen konnte. Das weiß wohl jeder.
Das Auto fuhr weiter auf der Allén in östlicher Richtung. Diese Straße bin ich am häufigsten gefahren in dieser Stadt.
Lichter und Dunkel der Stadt flackerten vorbei, Sonne und Schatten, Morgendämmerung und Abenddämmerung. Das gefiel ihm am besten am Süden: die Dämmerung überm Mittelmeer. Über Afrika.
»Okay.« Der Polizeiinspektor am Steuer hielt vor dem Haupteingang.
»Danke.« Winter stieg aus, und das Auto fuhr davon, zurück in die Oktobernacht. Vom Meer trieb plötzlich Nebel heran, und
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