Zimmer Nr. 10
andere Länder besucht«, sagte Elisabeth Ney.
»Haben Sie die Ansichtskarten aufbewahrt?«
»Spielt das wirklich eine Rolle?«, fragte Mario Ney.
»Wie gesagt, alles kann eine Rolle spielen«, antwortete Halders.
Mario Ney erhob sich. »Mal sehen, ob ich sie finde.«
Er wollte hinaus. Halders fiel auf, dass seine Hände bebten, vielleicht der ganze Körper. Das Gesicht hatte er abgewandt.
»Ihr Mann scheint sich nicht nach seiner alten Heimat zurückzusehnen«, sagte Halders, als Mario Ney die Küchentür geschlossen hatte.
»Er hat sie wohl nicht ohne Grund verlassen«, sagte sie.
»Was ist passiert?«
Sie zuckte leicht mit den Schultern, auf die gleiche Art wie ihr Mann. Das hatte sie ihm abgeguckt oder er ihr. Auf Halders wirkte es wie eine Bewegung aus einem südlich gelegenen Land.
»Musste er weg?«, fragte Halders.
»Er hat mir nichts erzählt.«
Herr im Himmel. Erzählte denn niemand etwas in dieser Familie? »Ist er allein nach Schweden gekommen?«
Sie nickte.
»Von wo?«
»Sizilien.«
»Sizilien? Das ist eine große Insel. Aus welchem Ort?«
»Ich weiß es nicht.« Sie blickte Halders in die Augen. »Mir ist klar, dass es komisch klingt, aber es ist wirklich wahr. Mario hat nie darüber sprechen wollen.« Sie wandte den Blick ab. »Und ich … verstehe nicht, was es … mit dem hier zu tun haben soll.«
»Hat er seine Familie nicht wiedergesehen, nachdem er fortgegangen war? Seine Familie auf Sizilien?«
»Nein.«
»Er hat sie nie mehr besucht?«
»Nein.«
»Keiner von Ihnen?«
»Das verstehe ich nicht.«
»Ihre Tochter war nicht dorthin unterwegs?«
»Das hätte sie doch wohl erzählt«, sagte Elisabeth Ney.
Da bin ich nicht so sicher, dachte Halders. Aber was wusste Paula Ney von Sizilien? Sie hatte nur ihren Namen auf die Insel ihres Vaters mitgenommen, und vielleicht war Ney ein ganz gewöhnlicher Name.
»Konnte Paula Italienisch?«
»Damals nicht«, antwortete Elisabeth.
»Das versteh ich jetzt nicht«, sagte Halders.
»Sie hat es … erst später gelernt. Ein wenig nur.«
»Nach dieser Reise?«
Elisabeth Ney nickte.
»Nachdem sie in Mailand war?«
Wieder nickte Elisabeth Ney.
»Ist sie noch einmal hingefahren?«
»Das weiß ich nicht.« Wieder sah Elisabeth Ney ihn direkt an, und Halders glaubte ihr. Oder er glaubte, dass er ihr glaubte.
»Hatte sie einen Reisegefährten?«
»Nein.«
»Niemanden? Die ganze Zeit über?«
»Jedenfalls hat sie nichts davon erzählt.«
»Wie war sie, als sie zurückkam? Hatte sie sich verändert?«
Elisabeth Ney antwortete nicht.
Auf dem Weg zu den Neys hatte Halders nicht an Reisen gedacht. Jetzt führten seine Fragen ihn um das Mittelmeer herum. Vielleicht war es falsch, ein ganz überflüssiger Ausflug. »War sie fröhlich? Traurig? Aufgeräumt?«
»Sie war wie immer«, sagte die Mutter.
Plötzlich drehte sie den Kopf, als lauschte sie auf ein Geräusch aus dem Garten, und Halders bemerkte die Ähnlichkeit. Es hatte etwas mit dem Licht zu tun. Das hatte er vorher nicht gesehen. Da war etwas mit dem Profil. Halders ließ den Blick zwischen der Frau auf dem Foto und der Frau vor ihm hin- und hergleiten. Es bestand eine Ähnlichkeit, die nicht sofort ins Auge fiel.
»Was heißt das?«, fragte er. »Dass sie wie immer war?«
Vielleicht hatte Elisabeth Ney antworten wollen. Sie hatte ihm wieder das Gesicht zugewandt. Aber Mario kehrte zurück, kam rasch auf sie zu und legte einige Ansichtskarten auf den Tisch.
»Mehr konnte ich nicht finden. Ich glaube, sie hat auch welche in ihre Wohnung mitgenommen.«
Die Wohnung. Halders war dort gewesen. Sie war fast fertig renoviert. Es war ein seltsames Erlebnis gewesen, in einer Wohnung umherzuwandern, die gerade ein neues Gesicht bekam und einen anderen Geruch, während der Mensch, der dort gewohnt hatte, nicht mehr existierte. Er konnte sich nicht erinnern, so etwas schon einmal erlebt zu haben. Es war sonderbar. Widerlich. Eine Verhöhnung des Lebens.
Halders hatte Schränke und Regale bemerkt und einen freistehenden Seitenschrank, alles bedeckt mit Plastikfolie, die wie beschlagen wirkte, als atme jemand unter der Folie. Öbergs Kriminaltechniker hatten eine Ecke der Folie angehoben und angefangen, in Paula Neys Sachen zu wühlen. Auch das schien wie eine Verhöhnung.
Möglich, dass sie eine zehn Jahre alte Ansichtskarte finden würden. Doch würde es ihnen helfen? Ja. Nein. Nein.
3
Die Gruppe versammelte sich im Konferenzraum. Er war während Winters Zeit beim Dezernat viele
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