Zimmer Nr. 10
Male renoviert worden, aber jetzt war es damit vorbei. Die Korridore würden auch nicht mehr neu verputzt werden, sie waren auf eine Art verklinkert, die an vergangene Zeiten erinnerte. In nächster Zukunft würde es keine Renovierung mehr geben. Für derlei gab es kein Geld mehr. Mit der Zeit würden die Klinkersteine von der Wand vor seinem Zimmer fallen.
Er verfolgte die letzte Phase des Sonnenaufgangs. Die Sonne schob sich widerwillig über dem Stadion hinauf in seinen Teil der Welt. Eine sinnlose Anstrengung. Der Winter würde ja doch siegen. Die Sonne war auf dem Weg zum Äquator, dort war sie zu Hause. Im Norden herrschte der große Sonnenuntergang des Jahres, und dann kam die Dunkelheit. Arktische Nacht, bis dahin waren es nur noch wenige Monate. Anfangs würden die langen Unterhosen kratzen, aber man gewöhnte sich jedes Mal daran.
»Scheiße, ist das heiß«, sagte Ringmar, der gerade hereingekommen war und sich setzte. Er wischte sich den Schweiß von der Stirn.
»Hör auf damit«, sagte Halders.
»Wie bitte?«, fragte Ringmar, die Hand immer noch an der Stirn.
»Wenn ich etwas nicht ausstehen kann, dann Nordlandbewohner, die jammern, sobald die Sonne scheint.«
»Ich hab bloß gesagt, dass es heiß ist«, sagte Ringmar.
»Du hast gesagt: SCHEISSE, ist das heiß.« Halders zeigte hinaus in die Sonne. »Ist das etwa kein negativer Kommentar?«
»Sagt der größte Optimist im Polizeidienst«, stellte Ringmar fest und wischte sich wieder die Stirn ab.
»Carpe diem.« Halders lächelte.
»Mea culpa«, sagte Ringmar, »mea maxima culpa.«
»Kann das mal jemand übersetzen?«, fragte Lars Bergenhem, immer noch der jüngste Kriminalinspektor der Gruppe.
»Hast du nicht den klassischen Zweig besucht?«, fragte Ringmar.
»Den klassischen was?«
»Den klassischen Zweig auf der Polizeischule«, sagte Halders. »Erst denken, dann handeln. Jetzt ist alles weg, für die Katz’.«
»Carpe diem versteh ich ja«, sagte Bergenhem. »Aber was bedeutet das andere?«
»Mein Fehler, meine Schuld«, erklärte Ringmar.
Winter trank seinen Kaffeebecher leer. Wenigstens der Kaffee war kalt in dem warmen Raum. Er räusperte sich. Das morgendliche Aufwärmgeplänkel zwischen Halders, Ringmar und Bergenhem verstummte.
»Die Worte sind frei«, sagte Winter, »aber die Polizei kann sich leider keine Übersetzer mehr leisten.«
Aneta Djanali lachte kurz auf. Das war der erste Laut, den sie an diesem Morgen im Konferenzraum von sich gab. Sie hatte sich in der Frühe mit Fredrik Halders unterhalten und mit seinen Kindern Hannes und Magda gesprochen, auf das Aufwärmgeplänkel verzichtete sie gern. Ihr war auch so warm genug. Heute Abend würden sie nach Saltholmen zu den Klippen fahren und das letzte Bad dieses Sommers nehmen. Das hatten sie schon seit einer Woche vor. Aber die Sonne ging jeden Abend wie eine Blutapfelsine hinter Asperö unter, was bedeutete, dass sie am nächsten Morgen zurückkehren würde.
»Zwischen Paula Ney und den Eltern klafft ein ziemlicher Riss«, sagte Halders. »Klaffte, meine ich.«
Winter nickte.
»Niemand sagt etwas oder hat etwas gesagt, und das macht mich immer misstrauisch.«
Wieder nickte Winter.
»Ich glaube, sie ist an dem Abend von ihren Eltern weggegangen, um nicht wiederzukommen«, sagte Halders.
»Ohne Koffer?« Ringmar beugte sich vor. »Mit nur einer winzigen Handtasche?«
»Sie hatte eine Wohnung, oder?« Halders sah die Kollegen um den Tisch an.
Bergenhem nickte aufmunternd.
»Sie hatte einen Schlüssel, oder? Es war spät, die Maler hatten Feierabend. Sie könnte in die Wohnung gefahren sein, einen Koffer gepackt haben und wieder abgehauen sein. Dann könnte sie die Freundin, wie hieß sie nun gleich noch, getroffen haben und mit ihr weitergezogen sein.«
»Ins Hotel ›Revy‹?«, fragte Ringmar.
»Ich weiß nicht, ob sie dorthin wollte.«
»Die Freundin heißt Nina Lorrinder«, sagte Winter. »Sie hat keinen Koffer erwähnt.«
»Haben wir denn nach einem gefragt?«, hakte Halders nach.
»Nein«, sagte Bergenhem. »Wir haben sie nicht danach gefragt.«
»So geht’s, wenn man den klassischen Zweig besucht hat«, sagte Halders.
»Das hättest du sie also als Erstes gefragt?« Bergenhem sah sauer aus. Und darauf schien Halders nur gelauert zu haben.
»Hört auf«, sagte Winter. »Sie lebt noch. Wir können sie ja immer noch fragen.«
»Ich ruf sie sofort an.« Bergenhem stand auf.
»Gute Idee!«, lobte Halders.
»Jetzt hör auf, Fredrik«, sagte Aneta
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