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Zimmer Nr. 10

Titel: Zimmer Nr. 10 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ake Edwardson
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Es war wie eine Grenze, aber zwischen ihnen gab es nichts Trennendes. Wir sind schon so lange zusammen, dachte Winter und ließ den Blick auf der Sonnenlinie ruhen. Selbst Bergenhem bekommt langsam Falten. Winter dachte an einen der ersten schwierigen Fälle, die er als frisch gebackener Kommissar gehabt hatte. Vielleicht der schwierigste Fall überhaupt. Ohne Zweifel einer der schrecklichsten. Es war fast zehn Jahre her. Himmel, Bergenhem war damals auch neu gewesen, ein junger Kriminalassistent, der aussah, als wäre er direkt von der Grundschule zum Dezernat gekommen. Er hatte einen Fehler gemacht, wäre fast gestorben. Sie hatten geglaubt, er sei tot.
    »Sie ist vermutlich katholisch?«, fragte Halders in die Runde. »Vielleicht hat sie um Vergebung ihrer Sünden gebeten.«
    »Nein«, sagte Winter, »Paula Ney war nicht katholisch.«
    »Überhaupt, welche Sünden?«, fragte Bergenhem und beugte sich zu Halders vor.
    »Ich meine in übertragenem Sinn. So eine Art Routineangelegenheit oder wie man das nennen soll. Eine Beichte.«
    »Du meinst, Paula hat eine Beichte abgelegt?«, fragte Aneta Djanali.
    »Ich weiß nicht. Vielleicht ist es das falsche Wort.«
    »Vielleicht war jemand bereit, ihr die Sünden zu vergeben«, sagte Ringmar.
    »Und wer?«, fragte Halders.
    »Der Mörder.«
    »Der Mörder als Beichtvater?«, fragte Bergenhem.
    »Er hat sie den Brief schreiben lassen.«
    »Oder sie dazu gezwungen«, sagte Halders.
    »Diktiert«, sagte Bergenhem.
    »Nein«, sagte Winter, »das glaube ich nicht.«
    »Es könnte doch bedeuten, dass aus irgendeinem Grund eine große Distanz zwischen Paula Ney und ihren Eltern herrschte«, sagte Halders.
    »Wo gibt es die nicht?«, sagte Aneta Djanali. »Zwischen Kindern und Eltern?«
    »Ich sagte große Distanz«, wiederholte Halders.
    »Das müssen wir wohl herausfinden«, seufzte Ringmar.
    »Leicht wird es nicht.« Halders nickte. »Wir können ja nicht mehr beide Seiten hören.«
    »Es gibt mehr als zwei Seiten«, sagte Bergenhem.
    »Hört, hört.« Halders wandte sich an Bergenhem. »Erst Lateinisch und dann Philosophie. Hast du diesen Sommer einen Volkshochschulkursus besucht, Lars?«
    »Das ist nicht nötig, um zu kapieren, dass wir noch andere als ihre Eltern nach der Beziehung befragen können«, sagte Bergenhem.
    »Hast du das notiert, Erik?«, fragte Halders.
    »Fangen wir mit der Arbeit an«, sagte Winter und erhob sich.
    Für Winter bedeutete Arbeit in diesem Fall Telefonieren. Er rief den Dienst habenden Portier des »Revy« an. Es war derselbe. Nein, er habe keinen Koffer gesehen. Er habe überhaupt keine Taschen gesehen. Wie sollte er auch?, dachte Winter, als er auflegte. Der Mann hat ja nichts gesehen, nichts gehört, nichts gesagt.
    Das Telefon klingelte.
    »Es scheint so, als hätte jemand in den Kleidern und Schuhen gewühlt«, sagte Halders. Seine Stimme klang weit entfernt.
    »Ja?«
    »Könnte sie selber gewesen sein, könnte auch jemand anders gewesen sein, es könnte vor hundert Jahren gewesen sein. Aber das glaub ich nicht.«
    »Warum nicht?«, fragte Winter.
    »Hier gibt es keinen Koffer, keinen Rucksack oder auch nur irgendwas, worin man Kleidung transportieren könnte.«
    »Hast du auf dem Speicher nachgesehen, im Keller?«
    »Natürlich«, erwiderte Halders. »Man hat doch schließlich Volkshochschulkurse besucht.«
    »Und zu Hause bei den Eltern?«
    »Hab eben angerufen.«
    »Sie muss ihre Sachen doch irgendworin zu ihnen gebracht haben, bevor ihre Wohnung renoviert wurde«, sagte Winter.
    »So weit hab ich auch gedacht«, triumphierte Halders.
    »Und weißt du, was die Eltern sagen? Sie hatte einen ziemlich neuen Samsonite, schwarz, aber der ist beim Ehepaar Ney nicht aufzufinden.«
    »Gut, Fredrik.«
    »Weiß der Teufel. Ich bin ins Grübeln gekommen in dieser Gespensterwohnung. Hier sieht’s aus, als läge über allem ein Leichentuch. Weiß, Plastik, dazu so ein aseptischer Geruch nach Malerfarbe und Lösungsmitteln. Es ist nicht gerade angenehm, sich hier aufzuhalten, Erik. Hier ist es zu weiß.«
    »Ich verstehe, was du meinst, Fredrik.«
    Halders schwieg.
    Winter hörte ein Brausen in der Leitung. Vielleicht hatte Halders in Paula Neys weißer Wohnung das Fenster geöffnet, vielleicht war es der Wind über den grauen Anhöhen von Guldheden.
    »Du sagst, du bist ins Grübeln kommen?«, fragte Winter nach einer Weile.
    »Was? Na ja, Grübeln … Möglicherweise sind wir in einer Sackgasse. Ich meine den Koffer. Dass ihn jemand an sich genommen

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