Zimmer Nr. 10
Penis schwang im Takt seiner Bewegungen.
»Was ist mit dem Burschen passiert?«, fragte Winter.
»Ihre Kollegen sind gekommen und haben ihn mitgenommen.«
Winter las die Uhrzeit von dem Bildschirm ab. Der Nackedei hatte an dem Abend, an dem Paula Ney verschwand, um genau zwanzig Uhr achtundzwanzig gestrippt.
»Als sie ihn abholten, hat er geschrien, es sei zu heiß für die Jahreszeit.«
»Da hatte er Recht.« Winter widmete seine Aufmerksamkeit erneut den Vierecken. Eigentlich hätte er für diese Arbeit Facettenaugen brauchen können. Er konzentrierte sich wieder auf die Frauen. Es waren nicht viele. Und merkwürdigerweise schien es die Kamera geradezu zu vermeiden, die Gesichter direkt von vorn zu zeigen. Vielleicht geschah das mit Rücksicht auf den Schutz der Persönlichkeit. Eine absurde Idee, auf die man nur in diesem Land kommen kann, dachte Winter: überwachen, aber nicht entlarven. Festhalten, dass sich jemand an einem bestimmten Platz aufgehalten hat, aber die persönliche Integrität schützen. Die Integrität des Verbrechers.
»Es ist schwer, die Gesichter zu erkennen«, sagte er.
»Wenn es darauf ankommt, ist die Geheimkamera über der Treppe am besten«, antwortete Helén Wigren. »Dort haben alle ein Gesicht.« Sie zeigte auf eine grüne Aufnahme. Winter sah die Treppengeländer. »Auf dem Weg nach oben ziehen sie sich die Sturmhaube vom Kopf.«
4
Winter nahm den Computer mit ins Präsidium. Ringmar und Aneta Djanali warteten bereits in einem Konferenzraum, in dem es einen größeren Monitor gab. Andere Kollegen warteten in anderen Räumen.
»Haben alle vor Augen, wie sie aussieht?«, hatte Winter gefragt.
»Zumindest wie sie auf den Bildern aussieht, die wir verteilt haben«, hatte Ringmar gesagt und einige Fotos von Paula Ney hochgehalten. »Aber mit einem schlechten Videofilm ist das so eine Sache.«
»Wollen wir nicht versuchen, zur Abwechslung mal positiv zu denken?«, hatte Aneta Djanali vorgeschlagen.
»Der Versuch kann nicht schaden«, hatte Winter gesagt.
So motiviert sie auch waren, die Polizisten in allen Zimmern vor den Bildschirmen, es gab nur ein paar Vermutungen, aber nichts Definitives.
Jetzt saß Winter in seinem Büro und sichtete die Vermutungen. Die Frauen in ihrer spätsommerlichen Kleidung. Er wusste, was Paula Ney am letzten Abend angehabt hatte, doch das musste nichts bedeuten.
Zuerst wollten sie versuchen, Paula Ney auf den grünlich schimmernden Bildern zu identifizieren.
Dann wollten sie nach jemandem Ausschau halten, der den Koffer aus dem Schließfach holte, in das er von Paula Ney hineingeschoben worden war.
Winter hatte sechs Möglichkeiten vor sich, sechs mögliche Paulas. Wieder und wieder studierte er die Bilder, sechs, sieben, acht, neun, zehn Mal. Die Frauen schoben alle einen Koffer in dieses Fach, der Paula Neys ähnlich sah, einen schwarzen Samsonite. Einige hoben ihren Koffer nur mit Mühe hoch. Andere warfen ihn einfach hinein, unabhängig von der Höhe des Schließfachs.
Dann verglich Winter sie mit dem Foto, das sie von Paula Ney hatten. Neunundzwanzig. Fast dreißig. Das Alter, in dem sich manche plötzlich alt fühlten, hatte sie nicht mehr ganz erreicht.
Es gab nur eine Zeitspanne von einigen Stunden, in der sie den Koffer hätte abstellen können, falls sie es nicht schon Tage vorher getan hatte. Wenn sie es aber an dem bewussten Abend getan hatte oder am späten Nachmittag, müsste sich hinter einem der sechs anonymen Profile Paula Ney verbergen. Die Vergrößerung der Aufnahmen hatten nicht so viel gebracht, wie er gehofft hatte. Das hing mit dem Licht und den Farben in der Unterwelt zusammen. Der Art, wie die Menschen ihren Kopf hielten.
Winter rief den Staatsanwalt an, um einen Durchsuchungsbefehl zu erwirken.
Mit Hilfe von Rolf Bengtsson ordneten sie die Nummern der sechs Schließfächer und öffneten die Koffer noch an Ort und Stelle.
Bei allen klebten außen oder innen ordentlich beschriftete Namensschilder.
Alle Eigentümer konnten rasch identifiziert werden.
Paula Neys Koffer war nicht dabei.
Winter verließ Bengtssons Büro, das hinter vielen Reihen von Schließfächern verborgen lag. Offenbar hatte die ganze Welt etwas zu verwahren. Ging die ganze Stadt auf Reisen. Zu Hause ist es gut, aber woanders am besten. Wenn die Leute überhaupt eine Wahl hatten. Winter wusste, dass mehr Menschen, als man sich gemeinhin vorstellte, aus ihrer Wohnung geworfen wurden und mit ihrem Hab und Gut in den Hauptbahnhof zogen. Und alle
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