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Zimmer Nr. 10

Titel: Zimmer Nr. 10 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ake Edwardson
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die Essensreste gefunden, die irgendein armer Schlucker aus dem Kühlschrank mitgenommen hatte. Vielleicht war er oder sie vor einen Zug gesprungen. Das war gar nicht ungewöhnlich. Die Gleise waren ja ganz in der Nähe.
    »Was macht Bengtsson mit all dem Zeug, das nicht abgeholt wird?«, fragte Ringmar und trank den letzten Schluck Caffè latte. Hier gab es keinen normalen Kaffee. »Und damit meine ich keinen vergammelten Käse.«
    »Das meiste wird ein paar Monate aufbewahrt«, antwortete Winter. »Soweit Platz vorhanden. Wenn sich niemand meldet, wandern die Sachen zur Heilsarmee, die sie dann an die Obdachlosen verschenkt.«
    »Ein Kreislauf, sozusagen.« Bertil Ringmar wusste, dass viele von Bengtssons Kunden Obdachlose waren. Viele starben mit dem Schlüssel in der Tasche oder verschwanden auf andere Weise. Einer war tatsächlich einfach mit dem Zug weggefahren.
    »Jeden Tag leert er zehn bis fünfzehn verwaiste Schließfächer«, sagte Winter. »Da kommt er übrigens.«
    Halders konnte in Paula Neys Wohnung nicht eine einzige Ansichtskarte finden. Nicht von vor zehn Jahren. Aus überhaupt keinem Jahr. Entweder gab es niemanden, der an sie dachte, nicht einmal einen flüchtigen Gedanken verlor, der auf einer Ansichtskarte Platz gehabt hätte, oder sie waren zusammen mit den Fotografien aus der Wohnung entfernt worden.
    Der Koffer, dachte er. Sie ist nicht abgereist, der Koffer muss irgendwo sein. Ich glaube nicht, dass er geleert wurde. Jemand hatte Grund, ihn aufzuheben.
    Eine angemalte rechte Hand. Was für ein verdammter kranker Scheiß! War noch nie vorgekommen. Konnte nichts mit der Identifizierung zu tun haben. Oder einem Muttermal. Ob jetzt ein Foto von der Hand im Koffer liegt? Wie komme ich auf den Gedanken? Ob die weiße Hand auch irgendwohin unterwegs war? Wozu brauchte der Teufel ihre Hand? Ein Händesammler? Himmel! Halders trat ans Fenster und schaute hinaus. Diese Gedanken. Was für ein Job. Den eigenen Grips auf Gedanken über angemalte tote Hände zu verschwenden. Tote Menschen. Wäre er Kernphysiker, Discjockey, Hockeytrainer. Er könnte die Sonne über der Stadt untergehen sehen, ohne darüber nachzudenken, was für Schandtaten sie am nächsten Morgen ans Licht bringen würde.
    Jetzt ging sie gerade wieder unter, immer weiter, und war weg. Ende Oktober nächsten Jahres würde er mit Aneta und den Kindern nach Zypern fahren, das war schon beschlossene Sache. Dort war es warm bis in den November hinein, das wusste er, weil er in den achtziger Jahren an einem Wintermanöver teilgenommen hatte. Ein kurz geschorener Militärpolizist. Damals hatte er noch Haare gehabt. Jetzt waren die letzten Stoppeln auf seiner Glatze kurz geschoren. Das war besser so, er konnte wenigstens bei einem Kopfstoß niemanden mehr kratzen. Doch er versetzte niemandem mehr einen Kopfstoß, nicht mal dem Fahrer, der seine Exfrau im Suff überfahren hatte. Zypern. Er würde ihnen zum ersten Mal Zypern zeigen. Er war nie wieder dort gewesen. Aber es war noch da. Unvorstellbar, dass Larnaca sich wesentlich verändert hatte. Die Fig Tree Bay hatte sich verändert, das wusste er. Damals war dort nichts gewesen, nur eine Bucht, zu der sie in einem alten Schrottbus fuhren, eine Bude, in der Getränke verkauft wurden. Ayia Napa, damals nur ein verschlafenes Fischerdorf, verkaterte UNO-Soldaten, Nizzi Beach. Ein paarmal ins Salzwasser getaucht, Siesta im Schatten der Palmen am Eingang, zwei Bier in der Pelican Bar, und man war wieder zu allem bereit.
    Im Oktober, dieses oder nächstes Jahr. Würden sie Paula Neys Mörder bis dahin gefasst haben? Er schaute aus dem Fenster, auf die Aussicht, die Paula Ney in den vergangenen Jahren gehabt hatte. Im Oktober würden die Bäume auf diesem Hügel so gut wie kahl sein. Es wären nicht mehr viele Farben in dieser Stadt übrig. Das war der Beginn der Winterhölle. Dann wurde es Zeit, ihr den Rücken zu kehren. Zu reisen. Reisen. Dieser Fall drehte sich ums Reisen, auf eine Weise, die sie noch nicht durchschaut hatten. Es ging nicht nur um den Koffer.
    Halders’ Handy klingelte. Das Geräusch klang gedämpft in der halbfertigen Wohnung.
    »Was machst du gerade?«, fragte Aneta Djanali.
    »Ich hab an Zypern gedacht.«
    »Während der Arbeitszeit?«
    »Sag’s nicht weiter.«
    »Vielleicht war sie auf dem Weg in die Sonne«, sagte Aneta Djanali.
    »Oder wer weiß wohin.«
    »Bist du noch in der Wohnung?«
    »Ja.«
    »Was gefunden?«
    »Nein. Nichts Persönliches.«
    »Wir wissen nicht viel

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