Zimmer Nr. 10
Besitztümer hatten Platz in ein paar Plastiktüten, vielleicht in einem Koffer.
Er hörte Bengtsson hinter sich.
»Wie viele Schließfächer gibt es hier?«
»Dreihundertvierundneunzig«, antwortete Bengtsson und sah sich um, als wolle er sie noch einmal zählen.
»Und wie viele könnten einen Koffer der Größe aufnehmen, nach dem wir suchen?«
Bengtsson lachte auf. Das Echo hallte durch die Unterwelt. In zehn Metern Entfernung drehte sich eine Frau um und warf ihnen einen scharfen Blick zu.
»Sie wissen doch, dass jemand den Weltrekord hält? Wie viele in einen Volkswagen passen?«, fragte Bengtsson und folgte der Frau mit dem Blick, als sie die Halle verließ. Sie ging schnell, als fühle sie sich beleidigt. »Als es noch Käfer gab, natürlich. Den alten Käfer.« Bengtsson machte eine Handbewegung. »Hier ist es so ähnlich. Es ist unglaublich, wie viel Mist manche Leute in ein Schließfach quetschen. Die versuchen jeden Tag einen Weltrekord aufzustellen.«
Winter nickte. Wie zur Bestätigung von Bengtssons Worten betrat eine Familie die Halle, eine solche Menge Koffer im Schlepptau, dass eigentlich ein ganzer Güterwaggon dafür nötig gewesen wäre oder ein Transportflugzeug. Die Gruppe blieb mitten auf dem glänzenden Boden stehen, und der Vater machte sich auf die Suche nach freien Fächern.
Bengtsson lachte erneut. Der Mann schaute auf und lächelte. Dann drehte er sich wieder zu den Schränken um. Er schien indischer Herkunft zu sein.
»Der da muss gleich dreißig Fächer mieten und noch dazu die Koffer in fünf Teile zerlegen.« Bengtsson amüsierte sich.
»Vielleicht hat er Motorteile darin. Einen Motorblock? Ein Ausländer versucht, sein Auto in Form eines Bausatzes in sein Heimatland zu schaffen.«
»Ich möchte, dass Sie alle Schließfächer öffnen«, sagte Winter, während er den Mann weiter beobachtete, wie er zu seiner Familie zurückkehrte und die Arme ausbreitete.
Bertil Ringmar hatte ein Krabbenbrot gekauft, das aussah, als hätte es schon sieben Tage in einem Schließfach gelegen. Winter konnte sich den Scherz nicht verkneifen.
»Warum ausgerechnet sieben?«, fragte Ringmar und wischte sich Mayonnaise von der Oberlippe.
»Dann ist die Zeit abgelaufen«, sagte Winter. »Es gibt ein Zählwerk, das bis zu maximal sieben Tagen zählt, und wenn bis dahin niemand den Koffer abgeholt hat, öffnet Bengtsson das Schließfach.«
Ringmar schaute auf sein Krabbenbrot. »Und dann hat er das hier gefunden?«
Sie saßen in einem der neuen Cafés im Hauptbahnhof. Bengtsson telefonierte herum auf der Suche nach Verstärkung. Helfer beim Öffnen. Der Durchsuchungsbefehl hatte noch Gültigkeit.
»Wo ist er?«, fragte Ringmar, deckte eine Serviette über das Brot und blickte sich um.
»Ich hab doch nur Spaß gemacht, Bertil«, sagte Winter.
»Entschuldige. Das Butterbrot sieht wunderbar aus und wirklich frisch. Du brauchst es nicht zu verstecken.«
»Dann kannst du den Rest ja aufessen.« Ringmar schob ihm den Teller zu.
»Ich hab im Moment keinen Appetit.«
»Ich hatte welchen«, sagte Ringmar. »Du hast mich schließlich von meinem Mittagessen in der Stadt weggeholt.«
»Entschuldige, Bertil, Bengtsson hat bloß so was gesagt.«
»Schiebst du jetzt ihm die Schuld in die Schuhe? Dabei ist er nicht mal hier.« Bertil Ringmar blickte sich wieder um. »Wo ist er?«
»Kommt gleich. Aber er hat tatsächlich gesagt, dass sie die Fächer manchmal öffnen, weil es nach Essen riecht. Oder was man so Essen nennt.«
Ringmar erhob sich, nahm seinen Teller mit dem halb aufgegessenen Krabbenbrot und trug ihn zu dem Gestell mit dem benutzten Geschirr.
»Ich lad dich zu einem neuen ein«, sagte Winter, als Ringmar zurückkam.
»Nicht hier.«
»Es ist noch viel schlimmer, als es klingt«, sagte Winter.
»Die Essensreste stammen häufig aus der Speisekammer von jemandem. Wenn die Leute aus ihrer Wohnung geworfen werden, nehmen sie mit, was sie tragen können, und schließen es hier ein. Fotos. Krimskrams. Kleidung. Essen aus dem Kühlschrank.« Er seufzte. »Und das Schließfach ist dann Wohnzimmer und Küche in einem.«
»Zimmer Nummer dreihundertzehn«, sagte Ringmar. »Oder Nummer zehn.«
»Bald werden wir es mit eigenen Augen sehen.«
Winter hatte Bengtsson gefragt, ob er schon früher einmal alle Schließfächer gleichzeitig überprüft hatte. Fast, war die Antwort gewesen; einmal, als ein unerträglicher Gestank alle Lebewesen aus dem Bahnhof zu vertreiben drohte. Schließlich hatten sie
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