Zimmer Nr. 10
oder?«
16
Touristen. Die Stadt war voller Touristen, bis weit in den September waren sie da; zeigten, fragten, sahen sich alles an, aßen, tranken, lachten, weinten. Winter hatte nichts gegen Touristen. Er erklärte ihnen gern den Weg. Ohne Touristen wäre die Stadt am Ende, sie waren fast die einzige Industrie, die übrig geblieben war. Tourismus – Verbrechen. Organisiert, nicht organisiert. Schließlich war das Heroin auch nach Göteborg vorgedrungen. Es war nur eine Frage der Zeit gewesen, und jetzt, in den späten Achtzigern, war das Scheißzeug hier.
»Das Scheißzeug haben unsere Freunde aus den fernen Ländern mitgebracht«, sagte Halders.
Sie fuhren mit dem Auto am Fluss entlang. Wohin man auch unterwegs war, immer fuhr man am Fluss entlang. Die Herbstsonne prangte fett und schwarz am Himmel. Eine Fähre glitt hinaus, auf dem Weg zum fernen Jütland. Das Risiko war groß, dass sie mit dem Scheißzeug im Bauch zurückkehren würde. Oder die Chance, je nachdem, wie man es sah. Für den Unternehmer bedeutete sie einen enormen Vorteil. Es kommt ein Schiff geladen.
Sie hatten über illegale Narkotika gesprochen und über die Schwerverbrechen, die das Rauschgift mit sich brachte. Viel Geld. Viel Gewalt.
Halders fuhr die Allén entlang. Die Szenerie war immer noch die althergebrachte, die vertraute. Auf den Rasenflächen saßen verstreut Gruppen und rauchten, der Rauch vereinigte sich über dem Kanal mit allem anderen, was in der Luft schwebte. Aber darüber lag der süßliche, würzige Geruch nach Hasch, Winter nahm ihn jedes Mal wahr, wenn er an einem Spätnachmittag über die Kanalbrücken ging.
Halders hielt vor einer roten Ampel. Auf dem Rasen hockten zwei Jungen in ihren antiquierten Kaftanen und schauten von der Pusselei auf und zum Polizeiauto hinüber.
Halders hob grüßend die Hand.
»Auf die kleinen Arschgesichter scheiß ich.« Halders deutete auf die Kaftanträger, die ihre Pfeife endlich in Gang gebracht hatten und sich in Dunst hüllten. Er hielt vor der nächsten Ampel.
Ein Mann überquerte die Straße. Er hatte dunkle Haare, scharfe Züge, sah aus wie vom Balkan, kam vielleicht aus Griechenland, Italien. Einem Ort südlich von Jütland.
»Vielleicht ein Kurier«, sagte Halders mit Blick auf den Mann.
Winter sagte nichts.
»Die werden überhand nehmen«, sagte Halders. »In zehn, fünfzehn, zwanzig Jahren ist die Stadt voller Kuriere und krimineller Banden aus dem Ausland.« Er sah Winter von der Seite an. »Und weißt du was? Viele von denen werden in dieser Stadt geboren sein.«
»Du bist gut informiert über die Zukunft, Fredrik.«
»Das ist nötig, Junge. Man muss in die Zukunft schauen können. Das nennt man Phantasie, das Einzige, was uns von den Psychopathen unterscheidet.«
»Sitzen wir dann immer noch hier, Fredrik? Fahren in einem Dienstwagen durch die Allén. In zwanzig Jahren?«
»In zwanzig Jahren? Das ist dann also … 2007. Tja, warum nicht? Wenn wir dann nicht schon tot sind. Gefallen im Feuergefecht mit Rauschgifthändlern aus den nördlichen Vororten.«
»Vorhin hieß es Ausland.«
»Das ist dasselbe.«
In zwanzig Jahren. Winter konnte zwanzig Jahre vorausdenken, aber er wollte es nicht. Das einundzwanzigste Jahrhundert war mehr als ein fernes Land und eine ferne Zeit. Es war wie ein Planet, den noch niemand entdeckt hatte. Bis dahin würde viel Wasser unter der Götaälvbrücke hindurchfließen.
Halders hielt vor der dritten roten Ampel.
Ein Mann überquerte die Straße. Der durch und durch schwedisch aussah. Er bewegte sich steif und starrte geradeaus wie in Trance.
»Der da«, sagte Halders. »Der sollte sich mal einen Wecker kaufen.«
»Das ist ja Börge«, sagte Winter.
»Was für ein Börge?«
»Christer Börge, dessen Frau vor einigen Monaten verschwunden ist, Ellen Börge. Ich hab ihn gestern im Präsidium verhört.«
»Warum?«
Die Ampel war noch nicht umgesprungen. Börge hatte die andere Straßenseite erreicht und ging jetzt in Richtung Rosenlundsplatsen. Winter schaute ihm nach. Börge ging rasch, aber offenbar ziellos. Die Beobachtung brachte Winter auf eine Idee. Börge hatte in diesem Augenblick kein Ziel.
»Warum?«, wiederholte Halders.
»An dem Fall ist was faul, und ich komm da einfach nicht drauf.« Winter schaute wieder nach vorn, wo Börges Mantel im gelben Laubwerk verschwand.
»Dem Fall? Das ist doch kein Fall?«
»Ich glaub doch. Ich glaube, dahinter steckt ein Verbrechen.«
»Du glaubst, sie ist tot?«
Winter breitete
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