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Zimmer Nr. 10

Titel: Zimmer Nr. 10 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ake Edwardson
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Vielleicht hat das nichts mit ihrem Tod zu tun, dass Paula nach Sizilien gefahren ist. Wie komme ich überhaupt auf die Idee? Weil ihr Vater schweigt? Und ihre Mutter? Sie schweigt auf ihre Weise auch.
    »Paula konnte nicht mal Italienisch«, sagte Ney jetzt. Es klang, als sei das ein entscheidender Grund, nicht nach Italien zu fahren.
    »Aber Ihre Frau hat gesagt, dass Paula Italienisch sprach.«
    »Nur einige Wörter«, antwortete Ney.
    Die Reise, dachte Winter wieder. Was ist auf dieser Reise passiert? Was ist danach passiert? Zehn Jahre später?
    Was ist in dieser Wohnung passiert? Winter ging von Zimmer zu Zimmer. In den letzten sieben Jahren hatte Paula in ihrer Wohnung gelebt, und das war eine sehr lange Zeit. Wer hatte sie hier besucht? Nicht viele. Paula und die Einsamkeit. Sie hatte ihre Eltern gehabt. Die Familie. Ihre Arbeit. Einige Freunde. War das ein einsames Leben? Wenn ja, war auch Winter einsam. Was er hatte, reichte ihm. Das war keine Einsamkeit.
    Er trat ans Fenster. Draußen lag Guldheden, die hohen Häuser, die Hänge und Hügel, die Orte, die modern waren und dennoch einer anderen Zeit angehörten. Orte, die in den fünfziger Jahren geplant wurden, würden immer modern sein, hatte Ringmar einmal gesagt. Die fünfziger und sechziger Jahre. Eine modernere Zeit bekommen wir nie mehr. Im Frühjahr 1980 war Winter zwanzig geworden. Für ihn waren die Siebziger modern gewesen, ganz zu schweigen von dem, was er von den Achtzigern erwartete. Er sollte Jurist werden und wurde Bulle. Und als er gerade Bulle geworden war, hatte er genauso wie jetzt dagestanden, wie in diesem Moment, und von einem anderen Blickwinkel über Guldheden geschaut, einem anderen Standpunkt, aber es waren dieselben Häuser und Hügel gewesen.
    Seine eigene Wohnung war spärlich möbliert, nackt, unfertig, und das war irgendwie natürlich. Er war noch mit nichts fertig. Aber dies hier … Paulas Wohnung war immer noch abgedeckt, unter Folien verborgen, und darunter gab es nicht viel, was von einem Leben erzählte. Sie war spärlich möbliert und nackt wie Winters damalige Wohnung. Bei ihrem Tod war Paula nur zwei Jahre älter als Winter damals. Plötzlich überkam ihn Verzweiflung. Ja. Das Gefühl kam und ging sehr schnell. Sie würde keine modernen Zeiten mehr erleben, nicht das erste Jahrzehnt, überhaupt kein Jahr des einundzwanzigsten Jahrhunderts. Nichts würde in dieser Wohnung oder irgendwo anders fertig werden.
    Er beobachtete einen kleinen Kastenwagen, der zwischen den hohen Mietshäusern kreuzte. Er hielt vor einem Briefkasten, und eine Frau stieg aus. Paula hatte keine Schuld. Ihr war ein Stift in die Hand gedrückt worden. Dieser Teufel. Jetzt war ihre Hand unter all dem Weiß verborgen.
    Die Frau von der Post leerte den Briefkasten, warf den Sack in das gelbe Auto, setzte sich hinter das Steuer, bog in den Kreisverkehr ein und verschwand in Richtung Norden. Winter hatte beobachtet, wie ihre weißen Hände das Lenkrad drehten, als sie im Kreisverkehr war. Er blieb am Fenster stehen. Das Laub war hübsch anzusehen, überwiegend gelb, aber ein anderes Gelb als vorher.
    Die Stadt unter ihm schien plötzlich größer denn je. Man konnte sich darin verstecken. Eine Tat begehen und sich dann verstecken. Aber ich krieg dich, du Teufel.
    Er wusste, dass es gefährlich werden würde.
    Winter verfolgte, wie das Flugzeug heranglitt und mit dem üblichen Lärm zum Landeanflug ansetzte. Er stand auf dem Parkplatz und sah es auf der Erde landen wie ein riesiger Zugvogel auf nördlichem Kurs. Dem falschen Kurs. Aber noch an diesem Abend würde er umkehren. In weniger als zwei Monaten würde er selber an Bord sein. Sie würden an Bord sein.
    Er betrat das Gebäude und wartete in der Ankunftshalle. Vor den Türen standen im Halbkreis Leute. Einige Gesichter meinte er zu kennen, und das war nicht verwunderlich. Er war einer der vielen, die Angehörige an der Costa del Sol hatten. Málaga war nicht weit entfernt.
    Lilly schlief in ihrem Buggy, und Elsa schob ihn vorsichtig vor sich her.
    »Papa! Papa!« Elsa ließ den Wagen los, und Winter fing ihn mit dem einen Arm und Elsa mit dem anderen auf. Sie konnte sehr hoch springen, höher als vor nur wenigen Wochen.
    Sie gab ihm mehrere Küsschen, er hatte keine Chance.
    Er legte Angela einen Arm um die Taille und küsste sie auf den Mund. »Willkommen zu Hause.«
    »Hallo, Erik.«
    »Hattet ihr eine gute Reise?«
    »Lilly hatte ein wenig Ohrenschmerzen, aber das ist schon wieder

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