Zimmer Nr. 10
die Hände aus.
Die Ampel sprang um, und Halders fuhr an. »Irgendwas macht dich also misstrauisch. Was hat dich auf die Idee gebracht?«
Winter versuchte, Börge wiederzufinden, aber der blieb verschwunden. »Er«, sagte Winter und deutete auf das Laubwerk.
»Glaubst du, er hat es getan? Seine Frau umgebracht?«
»Ich weiß es nicht. Einiges verstehe ich, aber anderes verstehe ich nicht.«
Halders lachte auf. »Das hat vielleicht nichts mit ihm zu tun«, sagte er. »Sondern was mit dir, Junge.«
»Ich wünschte, ich wäre wie du, Fredrik.«
»Das versteh ich gut. Das wünschen sich viele.«
»Fröhlich, unbekümmert und unwissend.«
»Phantasie ist besser als Wissen«, sagte Halders.
»Das war Einstein«, sagte Winter. »Du hast Einstein zitiert.«
»Das wusste ich gar nicht.« Halders lächelte. »Da kann man mal sehen.«
»Ich wünschte, ich wäre wie du«, wiederholte Winter.
»Gegen Schmeichelei bin ich immun.«
»Du bist ein glücklicher Mensch, Einstein.«
Halders hielt vor der vierten Ampel. »Du hast also diesen Börge zum Verhör einbestellt, Winter? Was hat Birgersson dazu gesagt?«
»Er hat es selber vorgeschlagen.«
»Was sagst du da?«
»Nun, ich hab natürlich vorher davon gesprochen.«
»Du hast dich ja mächtig beim Chef eingeschleimt.«
»Hast du noch nie ein Verhör führen dürfen?«
»So interessiert ist Birgersson also«, murmelte Halders, ohne auf Winters Frage einzugehen.
»Er hat wohl auch eine Ahnung«, sagte Winter. Halders schwieg. Er fuhr jetzt die Första Långgatan entlang. Eine Straßenbahn quietschte in westlicher Richtung vorbei. Winter spürte einen kühlen Luftzug. Das Quietschen wurde lauter. Im Funk kratzte, murmelte, redete es, aber das galt nicht ihnen.
»Hast du denn was rausgekriegt?«, fragte Halders, als er nach rechts zum Fluss abbog und vor der fünften Ampel hielt. Auf der Oscarsumgehung dröhnte ein Laster vorbei, der von der Kieler Fähre kam. »Ist dir bei dem Verhör ein Licht aufgegangen?«
»Er hat nur gesagt, dass er seine Frau liebt.«
Die Ampel wurde grün, und Halders schoss mit aufheulendem Motor los in Richtung Westen. Winter sah die Fähre unter der Älvborgsbrücke hindurchfahren. Aus dieser verfälschenden Perspektive schien es, als würden die Schornsteine den Brückenbogen rammen.
»Das hat er beim Verhör gesagt?« Halders drehte den Kopf. »Dass er sie liebt?«
»Ja.«
»Dann ist er schuldig.«
»Er hat es sogar schon zum zweiten Mal gesagt.«
»Dann ist er doppelt schuldig.«
In der Cafeteria war es still. Eine Art demütige Stille. Ein Mann, umgeben von seiner Familie, kam im Krankenhauspyjama angeschlurft. Sie unterhielten sich leise. Winter konnte kein einziges Wort unterscheiden. Von der Straße drängten ein paar Jugendliche herein und setzten sich, ohne etwas zu bestellen. Sie sahen sich mit großen Augen um, als hätten sie sich in der Tür geirrt.
Mario Ney kam eine halbe Stunde später zurück. In der Zeit hatte Winter sich mit seinen Notizen beschäftigt. Sie hatten inzwischen alle Gäste verhört, die sich zum Zeitpunkt von Paula Neys Tod im Hotel aufgehalten hatten. Es waren nicht viele, und sie alle konnten aus der Ermittlung gestrichen werden. Einige würden allerdings in anderen Ermittlungen landen. Das Hotel würde schließen, und niemand wusste, was daraus werden sollte. Wenn es nach Winter ginge, konnten sie gern die ganze Bude abreißen. Nur jetzt noch nicht.
Ney setzte sich ihm gegenüber wie zum Sprung bereit auf die Stuhlkante. Winter hätte ihn zu einem anderen Zeitpunkt und zu einem anderen Treffpunkt bestellen können, aber an dem Mann war etwas, das ihn bewogen hatte, sich für das Jetzt zu entscheiden, wenn auch nicht für das Hier. Da war dieser Ausdruck in Neys Gesicht, der Winter bekannt vorkam, aber auf andere Weise als bei Elisabeth. Es war die Ruhelosigkeit eines Menschen, der unter einem Wissen leidet. Der es gern weitergeben würde.
»Wohin wollen wir gehen?«, fragte Ney.
»Möchten Sie immer noch ein Glas Wein?«
»Ja, doch, wenn Sie …« Ney beendete den Satz nicht.
»Ich möchte immer ein Glas Wein«, sagte Winter. »Ich muss nur das Auto loswerden.«
Die Bar lag in der Nähe von Winters Wohnung. Das Auto hatte er im Parkhaus gelassen, nachdem er Ney bei dem Häuserblock davor abgesetzt hatte.
Sie bestellten guten Wein. Eine etwa zwanzigjährige Frau servierte ihnen den Wein und stellte, ohne zu fragen, jedem ein Glas Wasser hin. Winter kannte sie nicht.
»Das geht auf
Weitere Kostenlose Bücher