Zitadelle des Wächters
noch nie von diesem König und seiner Begleiterin gehört – und genausowenig vom Olymp. Aber sein Verstand hielt sich daran auch gar nicht auf. Er schien sich nur auf Heras letzte Worte konzentrieren zu können: Sie benötigten seine Hilfe. „Was kann ich denn für Euch tun?“
„Das liegt doch eigentlich auf der Hand, oder?“ meinte Athene. „Wir möchten, daß Ihr unser Richter seid. Ihr sollt entscheiden, welche von uns die Schönste ist …“
„Dem ist so“, sagten die beiden anderen.
Seine Gedanken gerieten in Aufruhr. Die Vorstellung, zwischen diesen drei Frauen zu entscheiden, drohte seinen Verstand zu sprengen. Er fragte sich, ob er zu einem solchen Urteilsspruch überhaupt fähig war. Jede einzelne von ihnen war auf ihre Weise so einzigartig exotisch, so geheimnisvoll anziehend – bei dieser Wahl mußte jeder Mann versagen.
„Ich weiß nicht, wie ich das anfangen soll.“
„Oh, Ihr könnt es aber“, sagte Athene.
„Doch sicher werdet Ihr etwas Zeit benötigen, um darüber nachdenken zu können“, sagte Aphrodite. „Dafür haben wir Verständnis.“
„Deshalb“, sagte Athene, „werden wir Euch jetzt für einige Zeit allein lassen. Danach kehren wir zurück, um Eure Entscheidung zu hören.“
Bevor Varian etwas einwenden konnte, drehten alle drei Frauen sich um und glitten rasch durch eine Lücke im Dickicht der Bäume davon. Er sprang ihnen hinterher, um sie einzuholen, mußte aber feststellen, daß sie spurlos verschwunden waren. Kein Geräusch ertönte mehr. Kein Beweis war mehr vorhanden, der davon künden konnte, daß sie je hiergewesen waren. Varian beschlich ein Gefühl, mit dem er nur selten zuvor zu tun gehabt hatte. Er war ein Mann, der sich bestens mit Duellen, Hinterhalten, Seeüberfällen und anderen Gefechten auskannte, aber er hatte nie die Wucht der kalten Angst gespürt, die jetzt durch seinen Körper schoß.
Hinter ihm ertönte ein Geräusch.
Blitzschnell wirbelte er herum und sah sich der rätselhaften Hera gegenüber. Sie stand allein vor ihm und lächelte ihn madonnenhaft an. Ihr kastanienbraunes Haar fiel ganz locker auf die Schultern hinab.
„Hab keine Angst“, sagte sie, „ich bin gekommen, um dir einen Handel vorzuschlagen.“
„Wie bitte?“ Varian war jetzt völlig verwirrt.
„Eigentlich eine ganz einfache Sache. Falls du mich erwählst, so kann ich dir die politische Herrschaft über die ganze Welt schenken. Frag nicht, wieso mir das möglich ist, glaube mir einfach, wenn ich es dir sage. Ist doch ganz einfach, oder? Wähle mich, und du bist der Herr der Welt!“
„Aber das ist doch nicht möglich … Ihr …“
„Ich meine es ernst“, sagte Hera mit einer Stimme, die ihn wie ein Schwert durchdrang. Sie strahlte eine Autorität und einen Stolz aus, wie dies nur bei jemandem der Fall sein konnte, der an die Macht und ihren Gebrauch gewöhnt war. Aus irgendeinem Grund, den er sich zu diesem Zeitpunkt jedoch nicht erklären konnte, glaubte Varian ihr.
„Ich muß darüber nachdenken“, sagte er.
„Natürlich.“ Hera lächelte wissend und kehrte in die Bäume zurück.
Bevor er ihr folgen konnte, um festzustellen, wie sie ihren geheimnisvollen Abgang bewerkstelligte, ertönte ein weiteres Geräusch hinter ihm. Jemand rief seinen Namen.
Er drehte sich um und war eigentlich kaum noch überrascht, Athene vor sich zu sehen, die dunkle, sinnliche Athene. Ganz nahe stand sie bei ihm. Ein Bein war nackt aus einem Schlitz im Gewand herausgetreten und die Hüften waren in einem aufreizenden Winkel gebogen.
„Ich habe dir ebenfalls ein Geschäft vorzuschlagen“, sagte sie.
„Komischerweise bin ich kaum überrascht.“
Athene lachte. Es klang wie eine hypnotisierende, aber auch außerordentlich wohlgefällige Melodie. „Nein, Varian, nicht, was du vermutest.“
„Dann fangt an: Was bekomme ich, wenn ich Euch erwähle?“
„Ganz einfach: Du bekommst das, wofür du hiergekommen bist, das Geheimnis der Zitadelle – das Wissen um den Wächter und die wahre Geschichte der Ersten Zeit.“
Sein Herz tat einen gewaltigen Sprung: eine physische Reaktion, die genau den Aufprall dieser Worte auf seinen Verstand wiedergab. Woher konnte sie wissen, was er wirklich wollte? Und wie konnte sie es ihm verschaffen?
„Meine Macht, dir das zu geben, was du willst, steht außerhalb jeder Diskussion“, sagte sie, als könne sie seine Gedanken lesen.
„Ich glaube, so etwas Ähnliches habe ich irgendwo schon einmal gehört.“
„Trotzdem mußt du dich
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