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Zitronen im Mondschein

Zitronen im Mondschein

Titel: Zitronen im Mondschein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mayer Gina
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darüber. Hahn, Sommer, er selbst und die drei Jungen Egner, Mücke und Flauber wurden zum Graben abkommandiert. Der vorderste Schützengraben sollte verlängert werden, sowohl nach links als auch nach rechts. Man ging unterirdisch vor, damit der Gegner nichts davon mitbekam. Mücke wurde zu Sommer und Ludwig eingeteilt, sie gingen nach links. Hahn ging mit Egner und Flauber nach rechts.
    Es hatte in den letzten drei Tagen geregnet, also war die Erde oben feucht und schwer und unten staubig und hart. Sommerfing an zu hacken, Ludwig schaufelte den Aushub in Eimer, und Mücke brachte ihn weg. Nach wenigen Minuten starrten ihre Körper vor Dreck. Die nasse Erde klebte an ihren Kleidern und Stiefeln, an ihren Handschuhen, die überall Löcher hatten, im Grunde hätte man sie genauso gut wegwerfen können. Der feine Staub heftete sich wie Puder auf die feuchte Schicht und legte sich auf ihre schweißnassen Gesichter. Sommer sah so fremd aus, wie er da hackte und grub, mit seiner dunklen Negerhaut. Sie redeten kein Wort, Ludwig zählte nur die Eimer, die er nach hinten zu Mücke schleppte, aber nach der zwanzigsten Ladung hörte er auch damit auf.
    Man grub immer drei Meter lang gerade aus, dann machte der Gang eine Biegung. Das war zu ihrer Sicherheit, hatte ihnen Major Rettel erklärt, denn wenn der Feind an irgendeinem Ende in den Schützengraben gesprungen kam, dann durfte er ihn nicht in seiner gesamten Länge überblicken, sonst hätte er ein leichtes Spiel.
    Normalerweise grub man im Zickzack, die eine Biegung nach links, die andere nach rechts, aber heute hatten sie Befehl, den Graben halbkreisförmig anzulegen. Sie kamen nur sehr langsam voran. Ludwig hatte jedoch das unangenehme Gefühl, dass sie sich direkt auf die Franzosen zubewegten. Jedes Mal, wenn sich Sommers Spitzhacke in dem Erdwall versenkte, erwartete er, dass die Mauer einstürzte, dass sich eine Öffnung auftat, hinter der der Feind wartete. Eine Kompanie, das Gewehr im Anschlag. Ein Trommelfeuer, das ihre schmutzigen Körper durchsiebte. Die Vorstellung wurde so mächtig, dass er seine ganze Kraft aufwenden musste, Sommer nicht in den Arm zu fallen, wenn er wieder ausholte. Ludwig richtete seinen Blick fest auf seine Schaufel, auf die fette braune Erde, in Gedanken rezitierte er ein Lied, das seine Mutter ihm immer vorgesungen hatte.
Unser Wissen und Verstand ist mit Finsternis verhüllet, wo nicht deines Geistes Hand uns mit hellem Licht erfüllet.
Warum ihm diese Zeilen ausgerechnet jetzt in den Sinn kamen, wusste er nicht, aber sie beruhigten ihn, jedenfalls am Anfang.
    Irgendwann half aber auch das nichts mehr. Er biss sich auf die Lippen, um nicht zu schreien, er schmeckte Blut, und er sah Blut, eine pulsierende rote Wand vor seinen Augen, hinter der Sommer und Mücke und der Schützengraben und alles andere verschwanden. In ihm war nichts als Angst, die nackte furchtbare Angst vor dem Ende, vor dem Sterben. Er wusste, dass er jeden Moment die Nerven verlieren und um sich schlagen würde. Er ließ seine Schaufel los und atmete schnell und schwer wie ein Tier, das man in die Enge gedrängt hatte. Sommer holte zu einem neuen Schlag gegen die Grabenwand aus, Ludwigs Muskeln spannten sich, aber im letzten Moment spürte er eine Hand auf der Schulter.
    »Ablösung«, sagte Hahn, der plötzlich hinter ihm stand. »Schluss für heute.«

III.
    Die einen gewöhnten sich mit der Zeit an den Dreck, die anderen nie. Sommer gewöhnte sich nicht daran. So oft sich die Gelegenheit bot, badete er in dem kleinen Fluss hinter den Baracken und wusch sich die Haare. Selbst im Winter war er immer an einen kleinen See gegangen. Ludwig hatte ihn begleitet und ihm dabei zugesehen, wie er sich splitternackt auszog und ins Wasser sprang. Ein oder zwei Minuten hielt er es zwischen den Eisschollen aus. Als er wieder aus dem See stieg, war seine Haut rot, als wäre das Wasser kochend heiß.
    Auch heute wollte er hinunter zum Fluss, und Ludwig wollte mit, weil sein ganzer Körper klebte und juckte von dem Staub, der in allen Poren saß. Es gab jedoch Befehl, das Lager nicht zu verlassen. »Ist mir scheißegal«, sagte Sommer, als Ludwig ihn darauf hinwies. »Ich muss den Dreck loswerden.«
    »Wir gehen später, wenn es dunkel ist«, entschied Ludwig.
    Die Dämmerung senkte sich kurz nach acht über die vernarbten Felder. »Passt bloß auf, dass sie euch nicht erwischen«, meinte Hahn, als sie sich aus dem Unterstand schlichen, den Graben entlang und dann in Richtung Fluss.

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