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Zitronen im Mondschein

Zitronen im Mondschein

Titel: Zitronen im Mondschein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mayer Gina
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Welt um die Ohren flog. Dann aber wurde ihm bewusst, dass der Brief ja nun auch schon ein Jahr alt war, mit dem gemütlichen Inselleben war es inzwischen mit Sicherheit aus und vorbei. Was die Japaner wohl mit Pechstein und den übrigen Deutschen gemacht hatten?
    Ludwig hatte fast vergessen gehabt, dass sich Japan im Krieg befand. Gegen wen kämpften sie überhaupt? Und wofür? Mit der Ermordung des österreichischen Kronprinzen und der Erhebung in Serbien konnte das alles nun wirklich nichts mehr zu tun haben.
    »Die Geschichte mit Serbien war doch von Anfang an nur der Auslöser und nicht der Grund für den Krieg«, sagte Sommer, als Ludwig ihm von dem Brief erzählte.
    »Worum ging es dann? Worum geht es jetzt?«
    »Frag dich doch selbst, dann weißt du es«, sagte Sommer.
    Ludwig fragte sich selbst und erinnerte sich plötzlich wieder an die Gespräche, die sie im Romanischen Café geführt hatten,wie sie sich nach etwas Echtem, Wahrem, Brutalem gesehnt hatten, nach einem Auflodern wilder Leidenschaft, nach Gewalt. Und wie sie schienen auch die anderen Nationen nur auf eine Gelegenheit gewartet zu haben, die Gewehre zu laden, die Granaten zu entsichern, aufeinander loszugehen. Das Erstaunliche war allein die Geschwindigkeit, mit der das Kriegsfieber um sich gegriffen hatte. Ein Funke und die Welt stand in Flammen.
    Jetzt saßen sie auf den rauchenden Schlachtfeldern, unter der glühenden Sonne, im Regen, Wind oder Schnee, und hielten sich die dröhnenden Köpfe wie nach einem furchtbaren Gelage. Aufhören, das ist ja entsetzlich, riefen sie, aber nun war es zu spät. Nun brannte alles.
    Die Zeit hinter den Linien zog sich ins Unendliche. Nach dem Frühstück machte Hahn Gymnastik, während Sommer und Ludwig lasen. Dann ging es zum Exerzieren auf den Platz vor den Unterständen. Marschieren, anlegen, zielen, schießen. Schutzbeutel auf- und abziehen. Schnell und schneller und noch schneller. Nach dem Essen allgemeine Turnübungen. Man putzte Stiefel, stopfte Socken und jagte Ratten. Zehn Pfennige gab es für jedes tote Tier. Wenn man schnell und geschickt war, konnte man es da auf ein gutes Nebeneinkommen bringen, aber was nützte einem das, es gab ja nichts zu kaufen.
    Das Essen war das wichtigste Gesprächsthema, wichtiger noch als das Wetter, über das es in diesem Sommer nicht viel zu sagen gab, meist war es einigermaßen warm und trocken. Man diskutierte also, was es zum Mittag geben würde und ob die Brotration noch weiter eingeschränkt würde und wann man wieder einmal Fleisch bekommen würde. Die ewigen Bohnen und Graupen konnte doch keiner mehr riechen. Man beneidete diejenigen, die Verwandte auf dem Land hatten und Pakete mit Fressalien geschickt bekamen. Ludwig hatte keine Verwandten, seine Eltern wussten nicht einmal, dass er im Krieg war, also bekam er auch nie ein Paket.
    Wenn man nicht vom Essen redete, versuchte man seinen Hunger zu vergessen. Oft gab es Streit, man schlug sich ausnichtigsten Anlässen. Der kleine Fröbel wurde einmal blutig geprügelt, weil er seine Stiefel nicht ordentlich in die Ecke gestellt hatte. Das Zusammenschlagen ging ganz schnell und unauffällig. Man lauerte einem auf, zerrte ihn in einen Unterstand, vermöbelte ihn, und hinterher sagte man, der arme Kerl sei gestolpert.
Sag ja nichts, sonst dreh ich dir beim nächsten Mal den Hals um.
    Ludwig hielt sich raus, er senkte den Blick, gab keine Widerworte, hielt seinen Mund, so wie er es gelernt hatte. Auch Sommer blieb immer auf Distanz, nur einmal hätte es ihn fast erwischt, als Preißler über seine ausgestreckten Beine stolperte und meinte, Sommer habe ihm einen Fuß gestellt. Preißler hob sofort die Faust und wollte zuschlagen, obwohl jeden Moment ein Vorgesetzter vorbeikommen konnte, so weit war man inzwischen schon, aber dann traf ihn Sommers Blick. So kalt und voller Verachtung, dass es selbst Ludwig ganz anders wurde. »Was ist, schlag schon zu!«, sagte Sommer. »Schlag mich doch tot!«
    Preißler ließ die Arme wieder sinken und ging weiter, abends verprügelte er einen der neuen Rekruten. Zumindest wird er so seine Anspannung los und seine Angst, dachte Ludwig, im Grunde ist er zu beneiden. Er selbst konnte nachts nicht mehr einschlafen, und wenn er endlich in einen leichten Schlaf geglitten war, träumte er von seinem Vater, wie er neben seinem Bett stand, die Arme vor der Brust gekreuzt, die Miene unbeweglich.
    Im August wurde ihre Einheit wieder an die vorderste Front verlegt. Ludwig war fast erleichtert

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