Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zitronen im Mondschein

Zitronen im Mondschein

Titel: Zitronen im Mondschein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mayer Gina
Vom Netzwerk:
würden«, sagte der Bursche, immer noch, ohne ihn dabei anzusehen. Ludwig kritzelte eine nackte Frau mit gespreizten Beinen auf einen Fetzen Papier.
    Am Abend teilte ihm der Rekrut mit, dass Sommer weiterhin bewusstlos sei.
    Am nächsten Nachmittag kamen Hahn und Flauber, sie brachten Schinkenwurst und Zigaretten und einen Apfel, wie bei einem Krankenbesuch, bis auf die Zigaretten. Dann standen sie auf der anderen Seite des Drahtverschlags und schwiegen. »Wie geht es ihm?«, fragte Ludwig.
    Hahn und Flauber wechselten einen schnellen Blick. »Nun redet schon!«, fuhr er sie an und merkte gleichzeitig, wie ihm der Schweiß ausbrach.
    »Er braucht jetzt keine Stiefel mehr«, platzte Flauber heraus.
    Hahn schaute ihn vorwurfsvoll an, dann nickte er ernst und würdevoll. »Beide Beine«, erklärte er und legte seine flache Hand erst an den rechten Oberschenkel und dann unter das linke Knie.
    Sommer ohne Beine, ein Krüppel – das war unvorstellbar, das war zu schlimm, um wahr zu sein. Die Vorstellung, dass er den Rest seines Lebens im Rollstuhl verbringen sollte, angewiesen auf Almosen und auf die Hilfe mitleidiger Menschen. Nein, da wäre es besser, es wäre gleich aus und vorbei.
    »Er schafft es vielleicht trotzdem nicht«, sagte Hahn, als habe er Ludwigs Gedanken gelesen.
    »Es ist aber bestimmt nicht deine Schuld«, versicherte Flauber.
    Ludwig sagte nichts. Was sollte er auch sagen? Es ist furchtbar? Es tut mir leid? Es wird alles wieder gut?
    Als sie weg waren, begannen seine Beine zu brennen, der rechte Oberschenkel und das linke Knie. Phantomschmerzen. Der Rekrut mit dem dünnen Schnurrbart brachte das Essen und trug den Teller wieder fort, nachdem die Ratten alles aufgefressen hatten. Ludwig rauchte und starrte gegen die Bretter an der Wand. Seine Beine schmerzten. Die Konturen des Raumes lösten sich auf. Tage und Nächte, Wachen und Träumen verschwammen zu einer grauen Gleichgültigkeit.
    Dann war er plötzlich hellwach. Es war Nacht, der Raum war bis zum Rand gefüllt mit Schwärze, er konnte nicht einmal das Fenster sehen, aber da war jemand im Keller, er spürte es sofort. Es war nicht der Rekrut, der ihn bewachte, auch das wusste er, ohne dass er irgendetwas erkennen konnte. »Wer ist da?«, fragte Ludwig und wunderte sich, dass er überhaupt keine Angst hatte.
    In seiner Zelle stand Sommer, er hatte den Kopf gesenkt, als betete er, aber nun blickte er auf. Er trug ein weißes Gewand, nur an der Stelle, aus der er geblutet hatte, prangte ein länglicher, leuchtend roter Fleck. Das alles konnte Ludwig erkennen, obwohl es doch so dunkel war.
    Wie kommst du hierher? fragte er, aber diesmal sprach er die Worte nicht laut aus.
    Ich wollte sehen, wie es dir geht, antwortete Sommer, ebenfalls ohne ein Geräusch von sich zu geben. Als ob Ludwig der Kranke sei und nicht er selbst.
    Es geht mir gut, sagte Ludwig, aber dir geht es nicht gut.
    Was willst du? fragte Sommer. Das war eine seltsam unsinnige Frage, schließlich war er es gewesen, der Ludwig aufgesucht hatte und nicht umgekehrt.
    Weil ihr Gespräch in Gedanken stattfand, antwortete Ludwig sofort, denn einen Gedanken kann man nicht zurückhalten wie ein Wort. Ich will, dass du stirbst, dachte er, und Sommer verstand ihn. Er senkte die Augen wieder und nickte. Er schien ganz ruhig.
    Dann war Ludwig wieder allein.
    Das alles hatte er nur geträumt, dachte er am nächsten Morgen. Auch als Flauber und Hahn am Nachmittag wieder kamen und ihm mitteilten, dass Sommer es nun hinter sich habe, glaubte er noch an einen Zufall.
    »Wann ist er gestorben?«
    »In der Nacht«, sagte Flauber. »Er ist gar nicht mehr aufgewacht.«
    »Glaub mir, es ist besser so«, meinte Hahn.
    »Ich war das.« Ludwigs Stimme klang, als ob seine Zunge mit Pelz bewachsen wäre. »Ich habe ihm den Tod gebracht.« Plötzlich war er sich ganz sicher, dass Sommers Erscheinung und sein Tod miteinander in Verbindung standen.
    Er hatte sich seinen Tod gewünscht, daran war Sommer gestorben.
    »Du meine Güte, Wunder, das ist doch blanker Unsinn«, sagte Hahn. »Lass dir das doch nicht einreden, dass du schuld daran bist.«
    Flauber sagte auch etwas, denn Ludwig sah, wie seine Lippen auf- und zugingen, aber er verstand die Worte nicht. Dann senkte sich das graue Zwielicht wieder über ihn.
    Später schlossen sie die Zelle auf und brachten ihn zurück in seinen Unterstand, wo ein neuer Mann auf Sommers Pritsche lag.
    »Arendsen«, stellte er sich vor, während er hastig aufsprang, als Ludwig

Weitere Kostenlose Bücher