Zitronen im Mondschein
Sie teilten sich zu zweit eine Stube, aßen wie die Offiziere und durften an zwei Wochenenden im Monat nach Hause. Mit den anderen kamen sie nur bei Appellen und Übungen zusammen, und auch bei diesen Gelegenheiten behandelte man sie mit Nachsicht.
Damals hatte er ein falsches Bild gewonnen. Nachdem er sich jedoch im letzten Jahr freiwillig gemeldet hatte, hatte man ihm die Augen geöffnet. Achtmal hatte er am ersten Morgen sein Bett gebaut, bis es ihm der Major abgenommen hatte. Zwölf Mal musste er unter dem Stacheldraht durch den Schlamm kriechen, bis er den Kopf tief genug im Dreck hielt. Er lernte salutieren, schießen, Böden schrubben, Haltung annehmen, Stiefel wichsen, wegtreten, marschieren. Vor allem aber lernte er, das Maul zu halten. Nicht zu widersprechen, wenn er angebrüllt, schikaniert und bestraft wurde. Und sei es auch noch so ungerecht. Denn wer widersprach, zeigte Gefühl, und Gefühl war hier fehl am Platz.
Gefühle waren etwas für Menschen. Soldaten waren jedoch keine Menschen, sondern Kampfmaschinen.
Es war ja nur für kurze Zeit, versuchte Ludwig sich einzureden, obwohl er es damals schon geahnt hatte, dass er nicht so schnell davon kommen würde. Und heute, mehr als ein Jahr später, war er immer noch Soldat.
Ende September 1915 bekam Ludwig einen zweiten Brief von Pechstein. Das Schreiben war auf den 2. Oktober 1914 datiert, etwas über einen Monat nach dem ersten.
Mein Traum ist ausgeträumt,
schrieb Pechstein.
Die Welt hat uns wieder, die Wirklichkeit hat uns eingeholt und auf grausamste Weise von uns Besitz ergriffen. Ich schreibe diese Zeilen in großer Eile und im Zweifel, ob sie Dich überhaupt erreichen mögen, lieber Freund. Gewiss wirst Du nun lange Zeit nicht mehr von mir hören.
Wie glücklich war mein Leben noch vor zwei Wochen, die Tage rannen dahin in ruhigem Gleichmaß. Alles war wohlgeordnet. Ich arbeitete. Schnitzte , malte und machte Pläne, nun auch ein eigenes Haus auf eigenem Land zu erbauen. Sogar den Grund dafür hatte ich bereits erworben. Eine winzige Insel bei Madalai mit einer wunderschönen halbrunden Bucht, mit Süßwasser, Fruchtbäumen, wilden Ziegen und Schweinen.
Ein Traum, doch nun sind wir aufgewacht.
In der letzen Woche erschien aufgeregt der Stationsvorsteher und berichtete die Neuigkeiten. Krieg in Europa! Für Dich, lieber Ludwig, längst schon Gegenwart, aber für uns war es eine fremde und gänzlich verstörende Erinnerung an die Schrecklichkeit der Welt.
Noch konnten wir uns freilich nicht denken, dass wir auf unserem Palau, in diesem abgelegenen Winkel der Erde, in Mitleidenschaft gezogen werden würden. Aber nur wenige Tage später sieht die Lage gänzlich anders aus.
Vor einigen Tagen erreichten uns zwei japanische Kriegsschiffe und ergriffen Besitz von unserem Archipel. Sie haben uns unserer Menschlichkeit beraubt und uns zu Feinden gemacht, in einem Kampf, der nicht der unsere ist.
Was wird nun werden? Die Eindringlinge sind undurchschaubar, aber voller Unheil. Finstere , schmale Augen unter braunen Tropenhelmen, ihr Gewehr halten sie ständig im Anschlag, als fürchteten sie den Angriff der Palauer, die noch weniger als ich begreifen, was hier vor sich geht. Wir werden in unserem Haus gefangen gehalten, hin und wieder lässt man uns ins Dorf, um Besorgungen zu erledigen, aber dann folgen uns zwei, drei bewaffnete Soldaten. Mit Arbeit und Ruhe, mit Schauen und Schaffen ist es vorbei.
Der Saft, den uns unser Boy jeden Morgen aus Ananas und Papayas zubereitet, schmeckt mit einem Male seltsam bitter. Hier wird man uns nicht bleiben lassen, aber wohin wird die Reise gehen? Der Stationsvorsteher sprach davon, dass wir nach Japan gebracht werden sollen. In jedem Fall wird es auf einen Abschied hinauslaufen. Mir wird grau ums Herz, wenn ich an die braven Palauer denke, die mir hier zum Freund geworden sind.
Das alles jedoch ist Zukunftsmusik, wir werden sie hören, wenn es so weit ist. Du jedoch, lieber Ludwig, hast gewiss anderes im Sinn. Lass Dir ob unserer ungewissen Lage den Tag nicht verdrießen. Die Zeit wird kommen, da wir uns wiedersehen und gemeinsam über das erlittene Unheil lachen.
Es grüßt Dich in tapferer Zuversicht
Dein Freund Max P .
Lass Dir ob unserer ungewissen Lage den Tag nicht verdrießen.
Das war amüsant, dachte Ludwig, da saß Pechstein im Sonnenschein auf einer tropischen Insel und trank Ananassaft und hielt sich für eine bedauernswerte Kreatur, während ihnen hier in Flandern, in ganz Europa, die
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