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Zitronen im Mondschein

Zitronen im Mondschein

Titel: Zitronen im Mondschein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mayer Gina
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sich aber auch über sich selbst, dass er in diese Hölle von einem Krieg gezogen war, ohne einen wirklichen Grund.
    »Und du?«, fragte Sommer. »Bist du auch wegen einer Frau hier?«
    »Mehr oder weniger.« Ludwig holte ebenfalls eine neue Zigarette aus seinem Etui. »Obwohl meine bestimmt nicht vorhatte, ihr Leben zu verändern wegen mir.«
    »Verheiratet?«
    »Jetzt ja«, sagte Ludwig so kurz, dass Sommer nur nickte, und dann war das Gespräch beendet.
     
    Wie wenig sie sich gegenseitig trauten. Hin und wieder wagte sich einer einen Schritt aus der Deckung und erzählte etwas, aus seiner Vergangenheit, aus seinem Leben, von seinen Gefühlen. Aber es waren immer nur Bruchteile, die sich nie zum einem Ganzen zusammenfügten, und danach sprachen sie wieder über Belangloses.
    Hinterher tat es Ludwig leid, dass er Sommer nicht mehr gefragt hatte, über die Frau, die er so geliebt und gleichzeitig so gefürchtet hatte. Dass er selbst nicht mehr erzählt hatte, von Lilly, die er verlassen hatte, und Maria, die ihn weggeschickt hatte und mit der das ganze Unglück damals begonnen hatte.
    Aber die Dinge waren nun einmal, wie sie waren. Im Gegensatz zu Hahn waren sie beide nicht zu Vertraulichkeiten veranlagt.
    Ihre Kompanie war von der vordersten Front abgezogen worden, sie lagen jetzt hinter den Linien in Reserve. Das Geknatter der Maschinengewehre und die Explosionen der Handgranaten waren auch hier zu hören, nur etwas leiser.
    »Lage des Menschen: Unbeständigkeit, Langeweile, Ruhelosigkeit«, konstatierte Sommer, der sich nur zum Essen und zu den Appellen von seiner Pritsche erhob.
    »Das hast du scharf beobachtet«, sagte Hahn.
    »Nicht ich, Blaise Pascal«, meinte Sommer.
    Hahn, der mit dem Namen offensichtlich nichts anfangen konnte, nickte nur.
    Unbeständigkeit, Langeweile und Ruhelosigkeit – das beschrieb die Lage perfekt. Die Männer wälzten sich auf ihrenMetallgestellen hin und her, warteten darauf, dass ein Tag zu Ende ging und der nächste begann. Sie rauchten, tranken und spielten Karten. Hin und wieder verlor einer der Nerven, schrie und tobte und konnte nur mit Ohrfeigen wieder beruhigt werden.
    Es war wie bei sehr alten Menschen, das alltägliche Leben verlor für die Soldaten mehr und mehr an Bedeutung. Die Erinnerungen wurden immer wichtiger. Je länger die Dinge zurücklagen, desto stärker drängten sie sich ins Bewusstsein. Auch Ludwig dachte viel an seine Kindheit. Er erinnerte sich an den Geruch seines Vaters, wenn er am späten Nachmittag aus seinen Praxisräumen gekommen war. Eine Mischung aus Kampfer, Karbol und grüner Seife. Er hatte sich hinter Ludwig gestellt und über seine Schulter gesehen, auf das, was Ludwig gerade tat. Ludwigs Hände hatten dann immer zu schwitzen begonnen, und von einem Moment zum anderen misslang ihm alles.
    Seine Mutter hatte sich immer ein zweites Kind gewünscht, ein kleines Mädchen, Sie dachte die ganze Zeit daran, auch wenn sie vor dem Schlafengehen mit ihm betete. »Lieber guter Herr Christ, der du Mensch geworden bist, schau du in mein Herz hinein, mach es gütig, fromm und rein«, murmelte sie, aber in ihren Gedanken ersetzte seine Mutter die letzte Zeile durch andere Worte: »Schenk mir doch ein Töchterlein«, flehte sie im Stillen. Ludwig war so überzeugt davon, dass er die Worte selbst einmal laut betete, aber glücklicherweise merkte es seine Mutter nicht.
    Er sah sich vor dem Klavier sitzen, das in seiner Erinnerung riesengroß war. All die vielen Tasten, schwarz und weiß, und seine Finger so steif und ungeschickt. Er hörte eine Melodie, die er immer wieder gespielt hatte,
Eine kleine Träumerei
, aber den Komponisten hatte er vergessen. Es war ein ganz einfaches Stück, er verspielte sich immer an derselben Stelle, und hinter ihm stand sein Vater mit starrer Miene.
    Die Räume ihrer Wohnung waren sehr hoch und groß, halbdunkel und kühl. Vor dem Haus schien die Sonne auf das Kopfsteinpflaster,manchmal spielte er dort mit den Nachbarskindern, seine Eltern sahen es jedoch nicht gerne, weil die Nachbarn katholisch waren.
    Nach dem Abitur hatte er seinen Wehrdienst abgeleistet, aber als Einjähriger. Vielleicht wäre alles anders gekommen, wenn er damals die üblichen zwei Jahre bei der Infanterie verbracht hätte, wenn er den Druck und die Schikanen richtig mitbekommen hätte. Aber die Einjährig-Freiwilligen, die Gebildeten, die Söhne aus gutem Haus, die selbst für ihre Einkleidung, Verpflegung und Ausrüstung aufkamen, blieben außen vor.

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