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Zitronen im Mondschein

Zitronen im Mondschein

Titel: Zitronen im Mondschein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mayer Gina
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Dahinten stand ein Posten, aber er kehrte ihnen den Rücken zu.
    Der Trampelpfad schlängelte sich an einem Waldstück entlang, über ihnen stand der Vollmond, neben ihnen huschten ihre Schatten, schwarz und langgezogen, über die silbergrauen Wiesen. Es ist viel zu hell, dachte Ludwig, während sie sich die Kleider vom Leib rissen. Die Oberfläche des Flusses glänzte wie flüssige Seide. Jeder kann uns sehen, dachte er, aber seine Haut brannte und juckte, das Wasser glitzerte so verlockend, und Sommer war schon am Ufer.
    Ludwig sah ihn lautlos ins Wasser gleiten und untertauchen, und gerade, als er sich selbst aus dem Schatten der Bäume lösen und zum Fluss laufen wollte, blitzte der erste Schuss auf. Seltsamerweisesah er ihn, bevor er ihn hörte, ein gleißendes Zucken in der Schwärze der Nacht, und dann kam erst der Knall.
    Sommer riss die Arme hoch. Er schrie, aber Ludwig hörte nur den Anfang des Schreis, dann folgte der nächste Schuss und noch einer und noch einer – es war eine Kette von hämmernden Einschlägen, die die Wasseroberfläche in ein kochendes, tobendes Brodeln verwandelten. Mittendrin Sommer, der auseinandergerissen wurde. In wenigen Sekunden war nichts mehr von ihm zu sehen, er war einfach weg. Der Fluss tobte und spritzte vor Wut über sein Verschwinden, dann verstummten die Schüsse. Ludwig klammerte sich an den rauen Stamm einer Föhre. Ihm war schlecht. Er musste los, er musste Sommer aus dem Wasser ziehen – retten, wenn noch zu retten war. Aber er rührte sich nicht von der Stelle. Er ließ sich in die Hocke fallen, zog die nackten Beine an den Körper und starrte zitternd auf den Fluss, der nun wieder ruhig und seidenglänzend da lag, als wäre nichts geschehen.
    Der Feind – er saß auf der anderen Seite des Flusses, in den Büschen, in den Bäumen. Er hatte nur darauf gewartet, dass sie das Lager verlassen würden, um zum Fluss zu kommen, mit dem Gewehr im Anschlag hatte er auf sie gewartet. Stundenlang, vielleicht nächtelang. Irgendwann kommen sie, hatte er gewusst, und sie waren gekommen.
    Der Feind hatte Sommer erschossen, und wenn Ludwig sich nun aus der Deckung wagte, um ihn zu suchen, dann würde er ihn ebenfalls erledigen.
    Geh schon! Worauf wartest du noch? Vielleicht kannst du ihm noch helfen!
    Da gibt es nichts mehr zu helfen, er ist verloren.
    Geh und such ihn! Er ist dein Freund.
    Es hat keinen Sinn mehr.
    Er wartet darauf, dass du endlich kommst.
    Ich kann nicht! Ich will nicht sterben! Ich will nicht sterben!
    Er saß am Waldrand und lauschte den Stimmen, wie sie sich in seinem Kopf stritten, und spürte nichts als Angst. Kein Entsetzen über den Überfall, keinen Schreck, keine Wut, keineKälte. Da war nichts als Angst um sein eigenes erbärmliches, nacktes Leben.
    Er verbrachte die ganze Nacht so, den Kopf auf den nackten Knien, die Hände um die Beine geschlungen. Wann wird es endlich hell, dachte er hin und wieder. Dass es heute überhaupt nicht hell werden will. Dann hörte er das Stöhnen. Es kam vom Fluss her. Als er den Kopf hob, sah er die lange, helle Gestalt am Ufer, zusammengekrümmt, wie ein riesiger Aal, der ans Land gespült worden war. Es war Sommer, er lebte, gegen alle Vernunft lebte er noch. Ludwig zog seine Hose an, dann kroch er auf allen vieren zu ihm hinunter. Jeden Augenblick erwartete er, dass es wieder losging, aber nichts passierte, die Scharfschützen waren entweder schlafen gegangen, oder sie sahen ihm voller Abscheu dabei zu, wie er endlich auf seinen Freund zurobbte, nachdem er so lange gewartet hatte.
    Aus Sommers weißem Körper rann schwarzes Blut, langsam und lautlos floss es aus einem verkrusteten Loch im Bein, aus beiden Armen und aus seiner Seite. Er stöhnte, aber als Ludwig ihn ansprach, antwortete er nicht. »Ich bringe dich zurück«, sagte Ludwig. »Alles wird gut.«
     
    Er schlang Sommers Arme um seinen Hals und nahm ihn huckepack, er fühlte den kalten, nassen Körper auf seinem nackten Oberkörper und an der Seite das klebrige, warme Blut. Sommers Beine schleiften über den Boden, denn er war größer als Ludwig.
    So nah waren sie sich noch nie gewesen. Der Weg zurück zu den Unterständen zog sich ins Unendliche, wie in einem schrecklichen Alptraum schien er sich auszudehnen, anstatt kürzer zu werden. Ludwigs Arme brannten und seine Beine zitterten. Bei jedem Schritt spürte er, wie das Leben langsam aus Sommer herausfloss, es rann zwischen ihren Körpern hindurch und tropfte zu Boden und versickerte in der

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