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Zitronen im Mondschein

Zitronen im Mondschein

Titel: Zitronen im Mondschein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mayer Gina
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rauben.
    Dabei hatte Ludwig Mira immer noch nicht erzählt, dass sie seine Tochter war. Er hatte es versucht, aber es ging nicht. Es waren seine Beine – sie brannten wie Feuer, wenn er sich auch nur vorstellte, dass er ihr die Wahrheit sagen könnte. Ich bin dein Vater, sagte er in Gedanken. Du? fragte sie ungläubig zurück. An diesem Punkt wurde das Brennen zu einem Lodern, er musste die Vorstellung unterbrechen und schnell an etwas anderes denken. Es war unerträglich – unaussprechlich.
    Er hätte Mira so gerne nach Maria gefragt. Ob sie auch in Düsseldorf wohnte, ob sie und Mira sich sahen. Ob sie überhaupt noch am Leben war. Aber seine Beine ließen es nicht zu. Es muss einen Grund geben für die Schmerzen, dachte er. Umsonstbilde ich mir das doch nicht ein. Vielleicht ist es eine Warnung. Vielleicht ist es besser, wenn ich schweige.
    Mira selbst erwähnte ihre Mutter nur ein einziges Mal, ganz beiläufig, so dass er es fast überhört hätte. »Meine Mutter hat eine Schmuckproduktion«, sagte sie in einem Nebensatz. Es konnte aber auch sein, dass sie damit nicht Maria meinte, sondern eine Pflegemutter.
    Er zeigte ihr seine Bilder und erzählte von Berlin vor dem Krieg und von Zürich und von Berlin nach dem Krieg, das ein ganz anderes Berlin war. Er hätte ihr auch gerne von Flandern erzählt und dass er desertiert war, doch darüber konnte er nicht sprechen. Sie schien vieles auch so zu verstehen.
    Sie erzählte ihm von ihrem Verlobten Anselm, der Kommunist, Kinopianist und Stahlarbeiter war. Von ihrer Freundin Gudrun, die ein Schneideratelier und eine lesbische Geliebte hatte. Von ihrem Freund Otto, der manchmal in die Rheinterrasse kam. Irgendwann stellte sie ihm Otto sogar vor. Sie unterhielten sich eine Weile lang über Belanglosigkeiten, aber Ludwig fiel es schwer, sich auf die Unterhaltung zu konzentrieren, weil er die ganze Zeit darüber nachdachte, in welchem Verhältnis Otto zu seiner Tochter stand.
    Nach und nach erfuhr Ludwig sehr viel über Mira. Sie sprach jedoch niemals von ihrer Vergangenheit.

II.
    Jeder, der es sehen wollte, konnte es sehen. Man musste dazu nur einmal über die Rethelstraße gehen oder über irgendeine andere Straße in irgendeiner anderen Stadt in Deutschland. Die Menschen wurden immer ärmer. Mit jeder Woche saßen mehr Bettler in den Hauseingängen. Die Schlangen vor der städtischen Suppenküche wurden immer länger. Zwischen den Baracken und Lagerhallen auf der Golzheimer Heide gab es keine streunenden Katzen und Hunde mehr. Die Damen, die die Herren nachts mit ins Hotel brachten, waren oft erschreckend alt oder furchtbar jung.
    Noch gab es Geld. Geld und große, schöne Häuser und elegante Limousinen und Chauffeure und Frauen im Pelzmantel und Lackschuhe und ondulierte Pudel. Noch gab es Reiche, Menschen, die so viel Geld hatten, dass sie es in ihrem ganzen Leben nicht hätten ausgeben können. Aber es war ein falscher, ein eingebildeter Reichtum, der nur auf dem Papier bestand und in den Köpfen. Man gründete Unternehmen, die nichts produzierten und nichts einbrachten, und machte Reklame und verkaufte für teures Geld Anteilscheine. Man nahm Hypotheken auf Häuser, die noch gar nicht gebaut waren, und belieh Grundstücke, die nicht existierten. Man gab das Geld schneller aus, das noch nicht gedruckt war. Man tanzte auf dem Vulkan, und dann brach er aus.
    »Jetzt haben wir den Dreck«, sagte Ottmar, als er und Ludwig sich eines Abends begegneten.
    Es war im Oktober 1929. Ludwig war auf dem Weg zur Arbeit, Ottmar kam gerade davon zurück. Er war Buchhalter in einer Regenschirmfabrik – trotz seiner anarchistischen Gesinnung. Von irgendetwas musste man ja schließlich leben. »Börsenkrach«, erklärte er und spuckte in hohem Bogen in Gretas kahle Blumenbeete.
    In New York war am Tag zuvor der Aktienhandel zusammengebrochen, erfuhr Ludwig, nachdem zuerst ein paar Anleger ihre Wertpapiere verkauft hatten und dann immer mehr und mehr. Es war wie eine gigantische Seuche, die plötzlich ausbrach und in rasender Geschwindigkeit um sich griff. Ein paar Stunden genügten, um ganz Amerika in Panik zu versetzen, dann flog die Krise über den Atlantik nach Europa, schneller, viel schneller als Charles Lindberghs kleines Motorflugzeug.
    »Hier ist auch schon alles in Aufruhr«, erklärte Ottmar. »Die Leute wollen ihre Wertpapiere loswerden, bevor sie nichts mehr wert sind. Ein Mist ist das, ein gottverdammter Mist.«
    »Einen Mist nennst du das?«, fragte Karl Rüter, der

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