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Zitronen im Mondschein

Zitronen im Mondschein

Titel: Zitronen im Mondschein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mayer Gina
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schlechter umschrieb. Dennoch hätte er das Lied jetzt gerne gehört oder wenigstens irgendeine Musik. Die Anarchosyndikalisten hatten aber keine Lieder, nicht einmal Greta. Nur eine Waldtaube gurrte in den Bäumen.
     
    An einem Dienstag im Oktober 1926 nahm er die Suche wieder auf. Am Tag zuvor hatte ihn Greta Krull besucht und hatte neben ihm gesessen, während er zeichnete. »Heute bist du auf den Tag genau drei Monate bei uns«, erklärte sie beiläufig. »Wieso bist du überhaupt nach Düsseldorf gezogen? In einem Dachzimmer sitzen und malen könntest du doch auch in Berlin, und so berauschend ist die Anstellung als Nachtportier auch nicht, als dass man dafür quer durch Deutschland fahren müsste.«
    Ludwig hatte nicht geantwortet, er antwortete eigentlich nie auf das, was Greta so redete, wenn sie ihm beim Zeichnen zusah.
    Hinterher gingen ihm ihre Worte jedoch nicht mehr aus dem Kopf.
Wieso bist du überhaupt nach Düsseldorf gezogen?
Mein Leben, dachte er, plätschert dahin, ohne Sinn und Zweck und Inhalt. Ich könnte genauso gut tot sein, es machte keinen Unterschied.
    Am nächsten Tag fuhr er schon am Nachmittag nach Düsseldorf. Er nahm sich eine Stunde Zeit, zwischen sechs und sieben, denn um acht musste er in der Rethelstraße sein.
    Seine Knie zitterten, als er die Stufen zum Eingang der Rheinterrasse hochstieg. Dann stand er im Foyer und hatte die Wahl: links das Kaffeerestaurant und der Weinsalon, geradeaus der große Saal. Wo arbeitete Mirabella? Wo würde Maria arbeiten? Als Ludwig den Weinsalon betrat und an einem kleinen Tisch an der Wand Platz nahm, zitterten auch seine Hände. Er faltete sie auf dem Schoß, unter dem Tisch, und kam sich vor wie ein Morphiumsüchtiger. An der Wand sprangen gemalte Hirsche über gemalte Fliederbüsche. An einem langen Tisch am Fenster saßen ein paar jüngere Herren, die sich laut zuprosteten. Ansonsten war das Lokal leer.
    Zu früh für Wein, dachte Ludwig, aber als die Kellnerin zu ihm trat, bestellte er ein Glas Rheinwein. »Rot oder weiß?«, fragte sie scharf. Zum Glück war sie weit über dreißig, viel zu alt, um seine Tochter zu sein.
    »Weiß«, sagte Ludwig. Vielleicht arbeitete Mirabella nur am Abend und in der Nacht wie er selbst auch. Vielleicht bediente sie auch in einem der anderen Säle oder aber war längst nicht mehr hier.
    »Entschuldigen Sie vielmals«, sagte Ludwig, als die Kellnerin das Glas Wein vor ihn auf den Tisch stellte. Es war Rotwein, aber das machte nichts. Wenn sie nur nicht so unfreundlich gewesen wäre. »Ich wollte mich nur einmal erkundigen, ob hier eine Mirabella arbeitet. Genannt Mira«, fügte er schnell hinzu, als er ihr verständnisloses Gesicht sah.
    »Mira«, wiederholte die Kellnerin widerwillig. »Ja, die ist hier, aber nicht im Weinlokal, sondern drüben im Kuppelsaal.«
    »Jetzt?«, fragte Ludwig atemlos. »Sie meinen, sie arbeitet heute und jetzt?«
    »Jetzt hat sie Feierabend, wenn ich es recht entsinne. Sie können auch nicht so einfach hinüberspazieren. Sie müssen erst ihren Wein bezahlen, wenn Sie ins Restaurant wollen.«
    Ludwig wollte jedoch gar nicht. Allein der Gedanke versetzte ihn in Angst und Schrecken, dass da drüben im Kuppelsaal seine Tochter sein könnte.
    Ob er sie gleich erkennen würde, wenn er sie sah? Ob sie ihn erkennen würde?
    »Möchten Sie also bezahlen?«, fragte die Kellnerin.
    »Nein«, sagte Ludwig.
     
    Jeden Abend nahm er sich vor, dass er am nächsten Tag in die Rheinterrasse gehen und die Sache hinter sich bringen würde. Aber während er schlief, schrumpfte der Vorsatz bis auf einen kleinen Rest zusammen, den er nach dem Aufwachen nicht wiederfand.
    Dann hörte er zufällig von Greta, dass die Gesolei zu Ende gegangen war und die Worte der pockennarbigen Kellnerin fielen ihm wieder ein.
Wenn die Ausstellung erst einmal vorüber ist, ist sie auch ihre Anstellung wieder los.
Vielleicht ist es ja schon zu spät, dachte er. Das half.
    Diesmal fuhr er schon am Vormittag nach Düsseldorf. Mit schnellen Schritten und gesenktem Kopf lief er von der Straßenbahnhaltestelle zur Rheinterrasse, rannte schnurstracks in den Rheingoldsaal und setzte sich an einen freien Tisch am Fenster. Erst dann sah er sich um. Über ihm wölbte sich eine riesige goldene Kuppel, in deren Mitte ein weißer Lüster wie eine bizarre Perle schwebte. Vor den Wänden hingen schwere rote Vorhänge, dazwischen hohe Fenster. Ein Raum wie ein Tempel. Hier hätte Maria gearbeitet, dachte Ludwig, gar keine Frage. Im

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