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Zitronen im Mondschein

Zitronen im Mondschein

Titel: Zitronen im Mondschein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mayer Gina
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einen hohen Zylinderhut aus Pappe auf und betrat die Bühne. Er warsehr lang und dünn und rezitierte mit einer lauten und näselnden Stimme ein Gedicht, aber es war eigentlich gar kein Gedicht, sondern eine Aneinanderreihung von Lauten. »Brulba dori daula dalla sula lori wauga malla, lori damma fusmalu. Dasche mame came rilla schursche saga moll vasvilla suri pauge fuzmalu.«
    So fing es an, und in der gleichen Art ging es weiter, noch viele Strophen lang. Hugo Ball, von dem Ludwig damals noch nichts wusste, schlug im Rhythmus der Verse auf eine große Trommel, auf deren runde Fellhautbespannung vier Buchstaben gedruckt waren.
DADA
.
    Brulba dori daula dalla sula lori wauga malla, lori damma fusmalu.
Das hatte keinen Sinn, aber dennoch drang es durch Ludwigs Ohren und schraubte sich durch sein Gehirn direkt in sein Herz. Brulba dori daula, dachte er, dalla sula lori wauga malla, lori damma fusmalu. Und die Worte, die keine Worte waren, die Sprache, die keiner verstand oder ein jeder, je nachdem, wie man es sah, dieses ganze wundersame blödsinnige Gedicht legte sich wie ein heilender Balsam auf seine Seele, die aufgerissen und wund war, nach allem, was geschehen war.
    Dass es so nicht gemeint war, verstand er hinterher, als er die Dadaisten besser kennengelernt hatte, als er gewissermaßen einer von ihnen war. Dadaistische Kunst sollte gerade kein Balsam sein, kein Trost für die verwundete Seele, nichts Romantisches. Es sollte wehtun. Für Ludwig war es dennoch ein Trost, gerade weil es wehtat, damals am ersten Abend im Cabaret Voltaire und später auch.
    Er fühlte etwas, und etwas zu fühlen, irgendetwas und sei es ein Schmerz, war besser als nichts zu fühlen, denn dann war man tot.
     
    Sein Berliner Galerist Herwarth Walden hatte ihm dabei geholfen, in die Schweiz zu fliehen. Als er gehört hatte, dass Ludwig desertieren wollte, war er gleich Feuer und Flamme gewesen. Er kannte einen, der einen kannte, der wieder einen kannte, der Deserteure in die Schweiz schleuste. »Das ist nichtganz billig«, warnte er. »Diese Kriegsgewinnler nehmen es von den Lebendigen, aber angeblich ist er höchst zuverlässig.«
    Ludwig gab ihm seine restlichen Bilder, obwohl er meinte, dass er sie in der jetzigen Situation nicht los bekäme. Schließlich gab er Ludwig aber doch 200 Mark für alles zusammen.
    Mit seinem gesparten Sold hatte Ludwig fast 1000 Mark, als er den Schlepper in einer schmutzigen Kaschemme in Lörrach traf. Drei Stunden später war er auf der Schweizer Seite, da waren es nur noch 400 Mark.
    Er schlug sich nach Zürich durch, weil ihm Walden die Adresse einer kleinen Pension mitgegeben hatte und einen Brief an den Wirt, den er von früher kannte.
    Seitdem wohnte Ludwig in einem Haus am Limmatquai, in einem winzigen Kellerzimmer mit einem schmalen Fensterschlitz auf einen Hinterhof, wo in großen, übervollen Tonnen der Müll lagerte. Wenn er das Fenster öffnete, roch es nach Schimmel und nach modrigem Flusswasser, obwohl die Limmat an der anderen Seite des Hauses entlangfloss. Wenn er sich auf die Zehenspitzen stellte, konnte er die Ratten sehen, wie sie über den Hof huschten, und die Katzen, die auf den Mülltonnen standen und zögernd von einem Bein aufs andere traten und darüber nachdachten, ob sie die Ratten fressen sollten oder lieber die Reste aus den Mülltonnen. Sie entschieden sich dann immer für den Müll.
    Es waren nämlich Schweizer Katzen, und alle Schweizer sind durch und durch vernünftige Kreaturen, die sich zu beherrschen wissen. Kein Risiko – lieber Abfall als eine warme, lebendige Ratte, die einen beißen könnte.
    In der Schweiz konnte man als Ausländer ohne Namen gut leben, vorausgesetzt, man verhielt sich ruhig. Ludwig wusste das genauso zu schätzen wie der höfliche Russe, der schräg gegenüber vom Cabaret Voltaire auf der Spiegelgasse wohnte. Wladimir Iljitsch Uljanow. Im Gegensatz zu den Dadaisten, die in ganz Zürich schief angesehen wurden, weil sie immer für Aufsehen sorgen mussten, fiel Uljanow niemals auf, jedenfalls nicht in Zürich. Erst ein Jahr später sorgte er in Moskau fürbeträchtliche Aufregung. Dann nannte er sich jedoch Lenin, und der Ärger betraf vor allem den Zaren.
    Aus Uljanow wurde Lenin. Und aus Ludwig Wunder wurde Nero Battaglia. Aber nicht sogleich. Wochenlang war er namenlos.
    In dieser Zeit, als er noch nach seinem neuen Namen suchte, wurde ihm bewusst, wie sehr der Name einen Menschen bestimmt. Dabei hatte er früher nie viel darauf gegeben, wie

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