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Zitronen im Mondschein

Zitronen im Mondschein

Titel: Zitronen im Mondschein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mayer Gina
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er hieß. Er war Ludwig getauft worden, weil das der Namen seiner Großväter war – sowohl auf der väterlichen als auch auf der mütterlichen Seite. Das machte die Sache für seine Eltern sehr einfach. Vielleicht, dachte Ludwig manchmal, hatten sie deshalb kein zweites Kind bekommen hatten, weil ihnen kein anderer Name mehr eingefallen wäre.
    Sein Nachname
Wunder
war recht hübsch, aber es war der Name seines Vaters, und da er seinen Vater längst verloren hatte, würde es ihm doch nicht schwerfallen, auch noch auf den Namen zu verzichten. Aber so war es nicht.
    Er musste feststellen, dass er ohne Namen kein richtiger Mensch mehr war. Er war sozusagen nicht vorhanden. »Denk dir was Neues aus«, empfahl ihm sein Hauswirt, Prinziger, der Einzige in Zürich, der seinen alten Namen kannte, weil er ihn in Waldens Empfehlungsschreiben gelesen hatte. »Wie soll ich dich denn sonst den anderen vorstellen?« Ludwig sollte in der Küche Kartoffeln schälen und Geschirr spülen, dafür bekam er Kost und Logis umsonst.
    Denk dir irgendwas Neues aus.
Als ob das so einfach wäre! Es brauchte seine Zeit, einen Namen für sich selbst zu finden.
    »Sag ihnen was«, sagte Ludwig. »Dass ich stumm bin. Dass ich kein Deutsch verstehe.« Prinziger schüttelte verständnislos den Kopf, aber was immer er den anderen dann erzählte, wirkte. Man ließ Ludwig in Ruhe. Man ignorierte ihn einfach.
    Nero Battaglia – dieser neue Name fiel ihm in der Nacht nach seinem ersten Besuch im Cabaret Voltaire ein.
    Emmy Hennings war ganz begeistert, als sie ihn hörte. »Nero wie der verrückte römische Kaiser«, sagte sie verzückt.Sie hatte Ludwig gefragt, woher er komme, nachdem er wochenlang fast jeden Abend im Voltaire aufgetaucht war. Als er »aus Flandern« antwortete, wusste sie Bescheid. »Du bist vor dem Krieg geflüchtet«, flötete sie. Ludwig hielt sie damals für betrunken, weil sie so überdreht war, aber später merkte er, dass sie immer so war, auch ohne Alkohol.
    Emmy stellte Ludwig auch den anderen vor, Hugo Ball, Tristan Tzara, Richard Huelsenbeck, Marcel Janco und Jean Arp und seiner bezaubernden Freundin Sophie Taeuber. Sophie. Sie hatte sehr große weiße Schneidezähne, die ein bisschen auseinanderstanden, so dass man durch die Lücke in die schwarze Tiefe ihres Mundes blicken konnte. Sie war Schweizerin und sprach auch so, das Ch klang bei ihr hart wie ein Fauchen, doch das war das einzige Harte an ihr. Eigentlich war sie Lehrerin für textiles Entwerfen an der Züricher Kunstgewerbeschule, aber sie hatte auch bei Laban in Ascona Ausdruckstanz studiert, und manchmal, an ganz besonderen Abenden, trat sie im Cabaret Voltaire auf. Ludwig war ganz hingerissen von ihr, wenn sie in großen Schritten über die Bühne flog, schwerelos und leicht, und gleich darauf war sie wieder gewichtig und stampfte wie ein Rhinozeros. Das Einzige, das ihm an ihr nicht gefiel, war, dass sie mit Arp zusammen war, weil er ihn nicht mochte. Aber vielleicht mochte er Arp auch nur deshalb nicht, weil er mit Sophie zusammen war.
     
    Durch Zürich floss die grünbraune Limmat, und über Zürich floss der blaue Himmel. Die Luft war glasklar, so klar, dass man das Gefühl hatte, in einem See zu schwimmen, wenn man nur lange genug nach oben schaute. Die Luft war frischer als in Berlin und auch dünner. Vielleicht ging deshalb alles so viel langsamer. Die Straßenbahnen fuhren gemächlicher. Die Menschen ließen sich mehr Zeit, sogar beim Reden. Ludwig hatte das Gefühl, dass sich hier sogar die Gedanken verlangsamten, wenn man nicht aufpasste.
    Die Welt lag mit sich im Krieg. Deutschland, Frankreich, Italien und Österreich, rund um die Schweiz stand alles in Flammen.In Zürich aber fegte man einmal in der Woche die Straßen, an jedem Wochentag war ein anderer Stadtteil an der Reihe. Heute war Dienstag, heute putzten die Straßenkehrer die Spiegelgasse. Vor dem Cabaret Voltaire gab es besonders viel zu tun, weil die verrückten Dadaisten ihren Abfall einfach auf die Straße warfen, wenn sie frühmorgens nach Hause wankten.
    Ludwig schlief um diese Zeit noch. Er stand immer erst um elf auf, trank einen schwarzen Kaffee, dann ging er in die Küche und schälte Kartoffeln oder Rüben für Prinziger. Er arbeitete bis um vier, danach aß er zu Mittag, und nun begann seine eigene Arbeit. Er klebte und schnitt und schrieb auch Gedichte, die er neben seine Collagen und Zeichnungen kritzelte. Ohne dass er es selbst richtig gemerkt hatte, war er ein Dadaist

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