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Zitronen im Mondschein

Zitronen im Mondschein

Titel: Zitronen im Mondschein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mayer Gina
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um Längen überholt. Vor den Wahlen war sie nichts, nach den Wahlen war sie die zweitgrößte politische Fraktion. »Eine feste Größe, mit der jeder Deutsche künftig zu rechnen hat«, schnarrte die Stimme des Parteivorsitzenden Hitler aus dem Radio im Proberaum von Nordwest ran.
    Langhoff schaltete den Apparat ab. »Schluss damit!«, sagte er. »Lasst sie sich austoben, die braunen Schwachköpfe, in ein paar Jahren schert sich kein Mensch mehr um sie.«
    »Sie haben es klug eingefädelt«, sagte Anselm, während er gemeinsam mit Mira ihre Kaffeetassen in Zeitungspapier wickelte und in einem Pappkarton verstaute. Sie hatte ihm angeboten, dass er sie weiterbenutzen könnte, so lange sie bei Gudrun wohnte, aber er hatte seine eigene Tasse, die am Rand ein bisschen angeschlagen war, mehr brauchte er nicht.
    »Bei den letzten Wahlen sind sie mächtig auf die Schnauze gefallen, weil ihre SA-Truppen den Leuten Angst gemacht haben. Jetzt hat Hitler sie zurückgepfiffen und schon werden sie gewählt.«
    Nicht alle hat er zurückgepfiffen, dachte Mira. Ein paar von ihnen sind losgegangen und haben die Anarchisten überfallen und Nero getötet.
    »Die sind aber nicht weg. Die warten nur auf ihre Stunde«, sagte Anselm.
    Als alles Geschirr im Karton war, richteten sie sich auf und standen sich plötzlich gegenüber, ihre Gesichter nur wenige Zentimeter voneinander entfernt. »Alsdann«, meinte Anselm, plötzlich unsicher. »Auf Wiedersehen.« Er reichte ihr seine Hand, und sie drückte sie, als hätten sie sich gerade erst kennengelernt.
    »Auf Wiedersehen«, erwiderte sie.
    Dass es zwischen ihnen war, wie es war, hatte nichts mit ihr zu tun. Das hatte sie nun verstanden.
    Deshalb trennte sie sich von ihm.
    »Was ist denn nun mit Otto?«, fragte Gudrun, als sie abends Heringe mit Pellkartoffeln aßen. »Probierst du es aus mit ihm, oder willst du ihn nicht?«
    Mira lachte und stellte erleichtert fest, dass es nicht wehtat, wenn Gudrun von Otto sprach.
    »Nein«, sagte sie. »Wir sind Freunde. So soll es bleiben.«
    »Mira«, meinte Gudrun, dabei schob sie ihren Teller weg und griff nach ihrem Zigarettenetui. »Du musst über die Sache mitNero hinwegkommen. Und über Anselm. Und zur Ablenkung eignet sich nichts besser als eine kleine Affäre.«
    »Wenn ich nur wüsste, ob er mein Vater war. Dann wäre alles viel leichter.«
    »Warum?« Gudrun blies einen Ring über den Tisch, der über Miras Teller stehen blieb, als interessierte er sich für ihr Essen. »Würde das irgendetwas ändern? An deinem Leben? An deiner Zukunft?«
    »Ich weiß es nicht.« Mira zuckte mit den Schultern. »Für meine Mutter würde es alles verändern«, meinte sie dann. »Wenn sie wüsste, dass ihr Ludwig tot ist, könnte sie die Sache endlich abschließen.«
    »Die Sache ist doch längst abgeschlossen. Sie ist aus und vorbei, jahrzehntelang. Der Ludwig, den sie geliebt hat, ist lange tot. Maria hätte Nero nicht geliebt und Nero Maria nicht.«
    »Und wenn Nero es doch nicht war? Wenn mein Vater irgendwo lebt und auf Maria wartet, wie sie auf ihn? Ihr stärkster Mann der Welt?«
    »Er ist nicht mehr der stärkste Mann der Welt. Er ist krank oder verheiratet oder Witwer oder sogar Großvater, vielleicht ist er Kommunist oder Faschist, vielleicht ist er unglaublich dick oder glatzköpfig oder furchtbar mager. Vielleicht trinkt er. Sie würden sich nicht wieder erkennen. Sie wären maßlos enttäuscht voreinander.«
    Mira stach ihre Gabel in ein Stück Kartoffel, dann legte sie sie auf den Tellerrand. Die Kartoffel hing erwartungsvoll in der Luft. Aber Mira hatte keinen Hunger mehr. Sie blickte an Gudrun vorbei an die Wand, an der ein helles Rechteck war, über dem früher einmal ein Bild gehangen hatte. Ob es ein Foto der Pressmann gewesen war?
    »Zurück zu Otto«, sagte Gudrun. »Was spricht gegen ihn? Schlimmer als mit Anselm kann es nicht werden.«
    »Er ist immer noch an dir interessiert«, sagte Mira. »Jetzt, wo es mit der Pressmann … wo Iris tot ist, mehr denn je.«
    »Aber ich will ihn nicht«, meinte Gudrun. »Und außerdem – was Männer wollen, das spielt doch nun wirklich keine Rolle.Was du willst, das zählt. Hast du das immer noch nicht verstanden?«
    »Nein«, sagte Mira.
    »Was willst du?«
    »Ich weiß es nicht.«
    »Dann musst du es herausfinden. Das kann ja wohl nicht so schwer sein.« Gudrun drückte ihre Zigarette in eine kalte Kartoffelhälfte.
    Für Gudrun war es leicht, so leicht wie essen, trinken und Zigaretten rauchen.

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