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Zitronen im Mondschein

Zitronen im Mondschein

Titel: Zitronen im Mondschein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mayer Gina
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aus der Stirn gekämmt, unauffällig.«
    »Hat er nichts erzählt? Wo kam er her, was hat er gemacht, bevor er nach Düsseldorf gekommen ist?«
    »Er kam aus Berlin. Und er war im Krieg. Er hatte eine große Abscheu vor dem Krieg.«
    Ihre Mutter schüttelte den Kopf. Sie trat vor das Grab und starrte das Holzschild an dem Pfahl an, als habe sie etwas übersehen, als würde sich ihr irgendetwas erschließen, wenn sie alles nur lange genug anschaute.
    »Er hieß Ludwig«, sagte sie nach einer Weile. »Er kam aus Stuttgart und war ein Künstler und ist eine Weile lang mit dem Zirkus gezogen. Ich habe ihn so geliebt. Mehr als irgendeinen anderen Mann. Aber nun ist es so lange her, ich kann mich nicht einmal mehr an sein Gesicht erinnern. Ist es nicht seltsam, dass ich nichts über ihn weiß, überhaupt nichts, wo er doch der Mann meines Lebens war?«
    »Was ist geschehen? Warum hat er dich verlassen?«
    »Ich habe ihn fortgeschickt«, sagte ihre Mutter langsam. »Es war eine Nachricht von Madame Argent, die mir damals noch erschienen ist, aber das tut sie schon lange nicht mehr. Sie hat mich gewarnt.«
    Madame Argent, dachte Mira. Diesen Namen hatte sie schon einmal gehört, sie konnte sich nur nicht daran erinnern bei welcher Gelegenheit.
    »Was hat Madame Argent gesagt?«
    »Sie drückte sich niemals wirklich klar aus«, flüsterte Miras Mutter. »Aber dieses eine Mal schon. Dieses eine Mal habe ich genau verstanden, was Madame Argent von mir wollte.«
    Madame Argent. Jetzt fiel es Mira wieder ein, wann sie den Namen gehört hatte. Im Zoo. Es war einer dieser schrecklichen Sonntagnachmittage gewesen, ihre Mutter hatte sie in der Reichsstraße abgeholt und in den Zoo eingeladen. Gudrun war damals noch nicht dabei gewesen. Mira und ihre Mutter gingen an den Käfigen vorbei, ihre Mutter fing ständig neue Gespräche an, die im Sande verliefen, weil Mira sie nicht aufnahm. Die Tiere hinter den Gitterstäben. Ein grauer indischer Elefant. Zwei Geier. Ein schlafender Puma, dessen Fell aussah, als wären die Motten darüber hergefallen. Ein Lama. »Pass auf, dass es dich nicht anspuckt«, scherzte ihre Mutter, aber dann blieb sie wie angewurzelt stehen und sagte nichts mehr. Im Käfig vor ihnen lag ein kleiner Schneefuchs. Er drehte ihnen den Rücken zu und schlief oder starrte an die Rückwand des Käfigs. Die Spitze seines weiß-gelblichen Schwanzes baumelte zwischen zwei Gitterstäben hindurch.
    »Dreh dich um und sieh mich an«, sagte ihre Mutter. Sie sprach nicht mit Mira, sondern mit dem Schneefuchs, der allerdings nicht reagierte. Vermutlich verstand er kein Deutsch, er kam ja aus Alaska, das stand zumindest auf dem Schild vor dem Käfig.
    Ihre Mutter schnalzte mit der Zunge und machte Zischlaute. Ein paar Zoobesucher drehten sich nach ihr um. Der Schneefuchs rührte sich nicht. Mira starrte auf die weiße Schwanzspitze, am liebsten hätte sie sie gepackt und daran gerissen, nur damit ihre Mutter mit dem Zischen und Schnalzen aufhörte.
    »Pssst«, machte ihre Mutter. »Haben sie dich wieder eingefangen?«
    Mira trat ein Stück nach links, weg von ihrer Mutter, aber nicht weit genug.
    »Dreh dich doch nur ein einziges Mal um.«
    Aber der Fuchs lag einfach nur da, unbeweglich und starr, vielleicht war er ausgestopft, obwohl der beißende Geruch, der aus dem Käfig drang, dagegensprach. »Warum musste ich dich freilassen, wenn sie dich nun wieder eingesperrt haben?«, murmelte ihre Mutter. Dann sagte sie noch etwas Seltsameres:»Wenn Sie mich hören, Madame Argent, dann geben Sie mir ein Zeichen.«
    Madame Argent, sagte sie zu dem Schneefuchs, ohne den Schneefuchs damit zu meinen. Madame Argent. Mira merkte sich den Namen, weil sie ihre Mutter danach fragen wollte, irgendwann, wenn sie sich besser kennen würden, aber das geschah nie.
    Sie standen bestimmt eine Viertelstunde vor dem Schneefuchskäfig. Ihre Mutter beugte sich weit über das Geländer und starrte in den Käfig. Der Fuchs drehte ihr den Rücken zu. Mira trat von einem Fuß auf den anderen. Irgendwann fuhr ihre Mutter zusammen. »Du musst jetzt nach Hause«, sagte sie zu Mira, obwohl es noch nicht einmal fünf Uhr war, und vor sieben brachte sie Mira sonst nie zurück in die Reichsstraße.
    Auf dem Nachhauseweg war Mira mit den Fußspitzen in die Mitte der Pflastersteine getreten, immer in die Mitte, niemals auf den Rand. Wenn sie bis zum Schluss keine der Kanten berührte, hatte sie sich eingeredet, würde Madame Argent ihr das Zeichen geben und nicht ihrer

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