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Zitronen im Mondschein

Zitronen im Mondschein

Titel: Zitronen im Mondschein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mayer Gina
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Mutter. Sie bekam aber niemals ein Zeichen. Vielleicht war sie doch aus Versehen auf eine Kante getreten.
    »Wie lautete diese Prophezeiung denn nun?«, fragte Mira jetzt fast widerwillig.
    »Es ist etwas in dir, das ihm den Tod bringt«, entgegnete ihre Mutter leise. »Das hat Madame Argent gesagt, dass ich ihm den Tod bringe. Aber ich wollte nicht schuld daran sein, dass er stirbt. Ich liebte ihn doch so sehr. Deshalb habe ich ihn fortgeschickt.«
    Es ist etwas in dir, das ihm den Tod bringt
, wiederholte Mira in Gedanken. Die Worte schwollen in ihr an und trieben aus und wucherten, weil sie im Gegensatz zu ihrer Mutter ihre furchtbare Bedeutung sofort verstand. Die erste Prophezeiung von Madame Argent und die zweite der Jungfrau Maria im Volksgarten, beide fügten sich ineinander und ergänzten sich. Die Botschaft war sonnenklar, auch wenn man gar nicht an Erscheinungen glaubte.
    »Sie meinte gar nicht dich«, flüsterte sie. »Sie meinte mich. Ich war in dir. Und ich habe meinem Vater den Tod gebracht.«
    Ihre Mutter hob den Kopf und sah Mira an, dann glitt ihr Blick von ihr ab und landete irgendwo in den unteren Zweigen der Erle. Mira konnte förmlich dabei zusehen, wie die Worte nun auch in ihrer Mutter wurzelten und wuchsen, bis auch ihr alles klar war. Dass es falsch und vollkommen unnötig gewesen war, den Mann ihres Lebens aufzugeben und fortzuschicken, weil nicht sie selbst, sondern ihre Tochter die Gefahr darstellte. Und dass das Schicksal oder die göttliche Fügung oder wie immer man es nennen wollte, letztendlich eben doch noch einen Weg gefunden hatte zuzuschlagen, die Sache zu Ende zu bringen.
    »Das wollte mir Madame Argent also sagen«, murmelte sie.
    »Du hättest mich töten müssen, um deine Liebe zu retten«, wisperte Mira.
    Die Augen ihrer Mutter wurden ganz groß vor Entsetzen. »So ein Unsinn! Was redest du für einen Unsinn?«
    Aber genau so war es, dachte Mira.
     
    »Sie hat noch etwas zu mir gesagt, an jenem Tag«, meinte ihre Mutter, als sie hinterher den Pfad über die Wiesen zurück nach Eller gingen. »Sie sagte: Du weißt, was du tun sollst. Geh deinen Weg.«
    »Was soll das heißen? Dass du ihn verlassen solltest?«
    »So habe ich es damals verstanden.«
    »Und jetzt? Wie verstehst du es jetzt?«
    Ihre Mutter schüttelte den Kopf, als wäre das eine Antwort. »Ich glaube manchmal, dass das die eigentliche Botschaft war. Ich sollte meinen Weg gehen. Tun, was ich für richtig hielt. Ihn heiraten. Bei ihm bleiben.«
    »Das glaubst du jetzt, weil du es glauben möchtest«, sagte Mira. »Aber ob es besser gewesen wäre, weißt du nicht.«
    Daraufhin sagte ihre Mutter nichts mehr.
    Waren es wirklich übernatürliche Erscheinungen, die Miras Mutter erlebt hatte, oder waren es bloße Einbildungen?
    War der Tote, der im Eller Forst unter der Erle lag, wirklich Miras Vater oder nur irgendein Fremder?
    Hatte die Geschichte einen Sinn, oder war es bloß eine irrwitzige, abergläubische, vermessene, kindische, verlogene, an den Haaren herbeigezogene Spinnerei?
    Sie würden diese Fragen bis zum Lebensende in sich tragen.
    Mira hatte ihren Tisch und eine Kommode aus ihrer Wohnung geholt. Den Rest der Möbel hatte sie Anselm überlassen, weil sie einfach keinen Platz dafür hatte. Auch die Wohnung hatte sie ihm überlassen.
    »Schließlich habe ich mich von dir getrennt«, sagte sie, als er ihr anbot, dass sie bleiben und er ausziehen könnte.
    Dieser Satz erfüllte sie mit einem solchen Stolz, dass ihr der Verzicht leichtfiel. Sie hatte ihn verlassen. Sie hatte es beendet. Sie hatte sich entschieden.
    Er hatte es mit einer erstaunlichen Gelassenheit hingenommen. Vielleicht war er froh, dass es endlich vorbei war, das gemeinsame Wohnen, das Schlafen in einem Bett, diese Nähe, die Vertraulichkeiten, die Berührungen. Im Grunde passte das nicht zu ihm. Er gehörte an einen Versammlungstisch, auf ein Rednerpodest, vor ein Publikum – aber nicht zu einer Frau.
    Die Trennung irritierte ihn, doch sie konnte seine gute Stimmung nicht verderben. Denn die Kommunisten hatten die Reichstagswahlen gewonnen. In Düsseldorf lagen sie in allen Stadtteilen weit vor der SPD. Die KPD war jetzt mit Abstand die stärkste Partei der Stadt.
    »46 Prozent in Wersten. Und 13 Prozent in ganz Deutschland«, rief Lari und reckte die Faust in die Höhe. »So viele Stimmen hatten wir noch nie!«
    Es war ein Triumph. Es war eine Niederlage. Denn die NSDAP hatte ihr Ergebnis von den Wahlen 1928 fast verzehnfacht und die KPD

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